Frau Aleksieva, Herr Rodewald: Sie beide vertreten unterschiedliche Anliegen und Interessen: auf der einen Seite die Energiewirtschaft, auf der anderen den Landschaftsschutz. Gibt es zwischen Ihnen genügend Schnittmengen, um sich zu verständigen, wenn es um den Ausbau der erneuerbaren Energie geht? 

Margarita Aleksieva: Ja, definitiv. Wir stehen bei allen Projekten in einem sehr engen, vertrauensvollen Austausch und versuchen, Lösungen zu finden, die beiden Anliegen Rechnung tragen.  

Raimund Rodewald: Das kann ich nur bestätigen. Was manchmal übersehen wird: Es geht beim Landschaftsschutz nicht nur um den Schutz der unverbauten Landschaften, sondern auch um die Frage, wie wir mit dem umgehen wollen, was bereits für die Energieerzeugung genutzt wird. Gemeint sind die sogenannten Infrastrukturlandschaften.  

Machen wir kurz einen Rollentausch. Herr Rodewald, angenommen, sie wären ein Vertreter der Energiewirtschaft. Was würden sie vom Landschaftsschutz erwarten?  

Rodewald: Ich würde erwarten, dass mein Interesse verstanden wird, als Teil der heutigen Herausforderungen. Es geht ja um eine stabile Energieversorgung der Schweiz. Und die Frage wäre, wie können wir unsere unterschiedlichen Interessen so kombinieren, dass beide Seiten gewinnen.

Und was würden Sie, Frau Aleksieva, als Vertreterin des Landschaftsschutzes von der Energiewirtschaft erwarten? 

Aleksieva: Dass die Wirtschaft mich frühzeitig in die Projekte involviert, dass wirklich eine offene, konstruktive Kommunikation besteht und ich die Chance erhalte, mich mit meinem spezifischen Knowhow aktiv einzubringen. Ich zitiere hier gerne Herrn Rodewald: Es geht darum, die Natur nicht vor den Menschen zu schützen, sondern mit den Menschen.

««Wir setzen auf innovative, landschaftsverträgliche Lösungen. Entscheidend ist die Balance zwischen Energieerzeugung, Umweltschutz und Lebensqualität.»»
Margarita Aleksieva

Die Volksabstimmung im Juni hat ein klares Votum für das neue Stromversorgungsgesetz erbracht, also grünes Licht für den weiteren Ausbau von Windparks, Wasserkraft- und Solaranlagen. Welche Auswirkungen erwarten sie kurz- und längerfristig für den Alpenraum?  

Aleksieva: Das Votum der Bevölkerung schafft eine klare Grundlage, die Energiewende mit verstärkter Geschwindigkeit voranzutreiben. Für uns bedeutet das, dass wir nun kurzfristig unsere vielfältigen Projekte schneller realisieren können. Viele dieser Projekte betreffen den Alpenraum: Ich denke da insbesondere an unsere weit fortgeschrittenen Wasserkraftwerke an der Trift und an die Vergrösserung des Grimselsees, ausserdem an unsere alpinen Solaranlagen. Wir setzen dabei auf innovative, landschaftsverträgliche Lösungen. Entscheidend ist die Balance zwischen Energieerzeugung, Umweltschutz und Lebensqualität.  

BKW Leiterin Wind & Solar im Gespräch mit dem Schweizer Naturschutz
Offen und konstruktiv für eine stabile Energieversorgung in der Schweiz

Rodewald: Klar ist jetzt, dass der beschleunigte Energieausbau im Einklang mit Natur und Landschaft erfolgen muss und dass die bestehenden Schutzgebiete, die ja gewissermassen Ikonen der Schweiz darstellen, möglichst weitgehend verschont bleiben. In Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Behörden, den NGOs, den Energieunternehmen und der Bevölkerung geht es nun darum, die geeigneten Gebiete für den Energieausbau zu entwickeln.  

Kritiker sprechen davon, dass die Alpen mit dem weiteren Ausbau von Windkraftanlagen und Solarkollektoren verschandelt würden. Sind solche Befürchtungen berechtigt?  

Aleksieva: Nein, denn das Gesetz sieht keinen Freipass für einen unbegrenzten Ausbau vor. Die Kantone werden über Eignungsgebiete für die Wind- und Solaranlagen entscheiden. Es wird darauf ankommen, zwischen den Anforderungen der Energiewende und dem Schutz der einzigartigen Alpenlandschaft einen tragfähigen Kompromiss zu finden. 

Welche Auswirkungen sehen Sie, Herr Rodewald, für den alpinen Lebensraum? Wird es zu stärkeren Eingriffen in die Natur kommen?  

Rodewald: Das hoffe ich natürlich nicht! Wir dürfen nicht vergessen: Wir stehen nicht nur beim Landschaftsschutz, sondern auch im Blick auf die Biodiversität vor grossen Herausforderungen. Die Artenvielfalt geht uns immer mehr verloren. Klar ist, dass wir die Schönheit, die Einzigartigkeit des alpinen Raums erhalten wollen. Es muss daher eine Interessenabwägung geben, darin bin ich mit Frau Aleksieva einig. Das ist so auch in dem neuen Gesetz verankert. Ich bin darum eigentlich recht positiv gestimmt. Aus unserer Sicht sollte der Energieausbau dort erfolgen, wo bereits entsprechende Infrastrukturen vorhanden sind. Diese weiterzuentwickeln, ist günstiger, schneller und hat eine höhere Akzeptanz auf allen Seiten. 

««Es geht darum, die Natur nicht vor den Menschen zu schützen, sondern mit den Menschen.» »
Raimund Rodewald

Was planen Sie als BKW für die Zukunft genau? Wird es grosse neue Projekte geben?  

Aleksieva: Das neue Stromgesetz sieht vor, dass die 15 Projekte des „Runden Tischs Wasserkraft“ und das Projekt Chlus Vorrang vor anderen nationalen Interessen haben, solange zusätzliche Ausgleichsmassnahmen für den Schutz der Landschaft und der Biodiversität ergriffen werden. Zu diesen 16 Projekten gehören unter anderem die Staumauer Trift und die Staumauererhöhung Grimsel. Beides sind Projekte der Kraftwerke Oberhasli AG, an der die BKW zur Hälfte beteiligt ist. Hier laufen noch immer die Bewilligungsverfahren. Was die Windkraft angeht, betreiben wir zwei Projekte im Berner Jura: eines oberhalb von Tramelan und eines bei Jeanbrenin. Eine Erweiterung des Solarparks auf dem Mont-Soleil und eine alpine Solaranlage bei Schattenhalb wurden bereits von der Stimmbevölkerung gutgeheissen. Der Freiflächensolarpark am Regionalflughafen Bern-Belp ist ebenfalls auf gutem Weg.  

Testanlage in Schattenhalb für alpine Solartische der BKW

Wäre es mit Blick auf den alpinen Lebensraum nicht sinnvoll, mehr auf viele kleinere Projekte als auf einige grosse Projekte zu setzen? 

Aleksieva: Unsere Strategie wird eine Kombination beider Ansätze sein. Während in geeigneten, weniger sensiblen Gebieten grössere Projekte umgesetzt werden können, setzen wir gleichzeitig stark auf dezentrale, kleinere Lösungen, die weniger invasiv sind und in die bestehende Landschaft integriert werden können. Der Schlüssel liegt darin, die Projekte gezielt zu planen, unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten und der Bedürfnisse der Bevölkerung.  

Gibt es für Sie eine Grenze des Ausbaus erneuerbarer Energien? Oder noch andere ernstzunehmende Optionen, damit es nicht so stark den Alpenraum trifft? 

Aleksieva: Es gibt in der Schweiz noch sehr viel Potenzial zum Ausbau der Erneuerbaren –nicht nur in den Alpen, sondern insbesondere auch im Mittelland. Eine wichtige Option ist die verstärkte Nutzung bereits genutzter Flächen, wie zum Beispiel Dächer oder brachliegende Industriegelände. Zudem sollten wir verstärkt in Energieeffizienz, Speichertechnologien und die Optimierung bestehender Anlagen investieren, um den Druck auf die Alpen zu reduzieren. Ein ausgewogener Mix aus verschiedenen Energiequellen und eine umsichtige Planung sind entscheidend, um die alpinen Landschaften zu schützen und gleichzeitig unsere Energieziele zu erreichen.  

Rodewald: Wichtig ist, bei guten Projekten das eine zu tun und das andere nicht aus den Augen zu verlieren. Und ich glaube, das beherrschen wir auch sehr gut mit unserer Fachkompetenz in der Schweiz. Aber ich sehe zugleich, dass wir hierzulande noch weit weg sind von einer wirklich kohärenten, zukunftsfähigen Energiepolitik. Stichwort Speichertechnologien: Die Frage ist zum Beispiel, wie wir die Stromüberschüsse, die wir im Sommer produzieren, in den Winter retten können, wo mehr Energie benötigt wird. Um dafür intelligente Lösungen und tragfähige Systeme zu entwickeln, braucht es wahrscheinlich noch zehn Jahre. Wir müssen aufpassen, dass wir bei aller Beschleunigung, die wir im Energiebereich anstreben, nicht in eine holzschnittartige Politik hineingeraten, die entgegen allen Beteuerungen zu wenig Rücksicht auf den Naturschutz nimmt.