Bernhard Sax, CEO von pi-System, einer Konzerngesellschaft der BKW, und Martin Kauert, Experte Product & Ecosystem Development bei BKW Energie haben mit dem integralen Energiemanagement eine einzigartige Lösung geschaffen, mit dem Kunden von attraktiven Erlösen auf dem Strommarkt profitieren. Im Gespräch zeigen sie die Vorteile dieser Innovation auf und erklären, was es braucht, damit alle Beteiligten einen Nutzen daraus ziehen.
Wie wird das Gebäude ins Stromnetz integriert?
Bernhard Sax: Mit der Gebäudeautomation steuern wir die Energie innerhalb eines Gebäudes und optimieren das lokale Lastenmanagement. Sodass beispielsweise Speichermassen des Kühlsystems dann aufgeladen werden, wenn die PV-Anlage auf dem Dach viel Strom produziert. Wir gehen mit unserer neuen Lösung einen Schritt weiter. Statt das Energiemanagement nur lokal zur regeln, machen wir das Gebäude zum verlängerten Arm des Stromnetzes. Durch eine entsprechende Schnittstelle und eine intelligente Steuerung der Lasten binden wir das Gebäude über die bestehende Gebäudeautomation an ein virtuelles Kraftwerk an.
Was ist ein virtuelles Kraftwerk?
Martin Kauert: Das ist ein Pooling von Anlagen, die je nach Netzauslastung gegen Entgelt hoch- oder runtergefahren werden.
Nehmen wir als vereinfachtes Beispiel einen sonnigen Tag im Spätsommer. Die Solaranlagen in der Schweiz laufen auf Hochtouren und beliefern das Stromnetz mit viel Energie. Auf der Verbraucherseite ist der Strombedarf tief. Damit das Netz nicht aus der Balance gerät, müssen der Verbrauch ansteigen oder die Produktion gedrosselt werden. Wer jetzt eine Verbrauchsanlage hochfährt, trägt zur Netzstabilität bei und kann dafür finanziell entschädigt werden. Mit steuerbaren Anlagen profitieren Betreiber am Regelenergiemarkt von attraktiven Preisen. Die meisten Unternehmen verfügen jedoch mit ihren Anlagen nicht über die nötige Leistung, um eigenständig am Regelenergiemarkt teilzunehmen. Mit unserem Angebot Energy Powerflex schliessen wir kleinere Anlagen zu einem virtuellen Kraftwerk zusammen und ermöglichen den Betreibern damit Zugang zu diesem attraktiven Markt.
So funktioniert der Handel am Regelenergiemarkt mit Energy Powerflex
Was braucht es für die Umsetzung der Gebäudeautomation und Gebäudetechnik?
Bernhard Sax: Oftmals sind die technischen Anlagen in Gebäuden für den Betrieb eher grosszügig berechnet. Diese Reserven können wir gezielt als Flexibilität für das virtuelle Kraftwerk nutzen. Dazu bauen wir auf die bestehende Gebäudeautomation und passen die gebäudetechnischen Anlagen so an, dass sie bei Bedarf ein- oder ausgeschaltet werden. Für eine funktionierende Lösung ist entscheidend, dass wir die betrieblichen Bedürfnisse des Kunden genau verstehen, um das System optimal einzustellen.
Wie funktioniert die Steuerung der Lasten im Gebäude?
Bernhard Sax: Unser Gebäudeleitsystem ist im Stande, mit dem virtuellen Kraftwerken zu kommunizieren und so die einzelnen Anlagen über Lastkanäle optimal zu steuern. Dabei fliessen mehrere Faktoren mit ein. Einerseits werden die kleineren Lasten innerhalb des Gebäudes zusammengefasst, um dem virtuellen Kraftwerk eine genügend grosse Leistung zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wägt das System zwischen dem Eigenverbrauch, den Erträgen am Regelenergiemarkt und den prozessualen Bedürfnissen im Gebäude ab. Zudem optimiert das Leitsystem die Bewirtschaftung von Speichern und Flexibilitäten durch das Vorhalten von Kapazitäten anhand des Wetters, Prozessdaten und Verbräuchen.
Wer profitiert von einem integralen Energiemanagement?
Bernhard Sax: Die Entschädigungen am Regelenergiemarkt sind sehr attraktiv. Gebäudebetreiber profitieren von regelmässigen Erlösen für die Bereitstellung der steuerbaren Anlagen ihres Gebäudes und zusätzlich für das Ein- und Ausschalten im Bedarfsfall zur Netzstabilisierung. Ausserdem kann damit das Peak Shaving optimiert werden, was bei hohem Stromverbrauch zu einer Reduktion der Lastpönalen führen kann.
Martin Kauert: Die Aufnahme von neuen Anlagen bringt mehr Diversifizierung in unser Pooling und macht das virtuelle Kraftwerk am Markt attraktiver. Damit profitieren schlussendlich alle, die Teil davon sind.
Bernhard Sax: Mit dieser Lösung leisten wir somit einen Beitrag an die Netzstabilität, indem wir bei einem Ungleichgewicht für Entlastung sorgen.
Die Lösung dient also der Energiewende?
Martin Kauert: Absolut. Einerseits machen kleinere Erzeuger und Verbraucher das Energienetz zu einem immer komplexeren, volatilen System. Das verlangt nach neuen Lösungen zur zellularen Steuerung. Zudem fordert der Mantelerlass des Energiegesetzes in den nächsten zehn Jahren eine Erhöhung der Solarenergie um das Sechsfache. Damit diese Leistung vom System aufgenommen werden kann, sind steuerbare Anlagen für die Stabilisierung des Netzes unverzichtbar. Intelligente Lösungen wie das integrale Energiemanagement unterstützen die technische Umsetzung. Die Energiewende gelingt nur, wenn alle Akteure einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
Wie habt ihr diese technische Innovation gemeinsam erarbeitet?
Bernhard Sax: Als Konzerngesellschaft der BKW gehört Energie sozusagen zu unserer DNA. Bei der Gebäudeautomation sehe ich allerdings, dass viele Leitsysteme stark nach dem lokalen Bedarf gesteuert sind. Das ist wenig kosten- und energieaffin. Mit Unterstützung der BKW durfte ich mich mit Martin zusammentun und hier eine Lösung erarbeiten, die dem Kundenbedürfnis des Peak Shavings entgegenkommt, aber über lokale Optimierung hinausgeht. Dabei hilft, dass wir das gesamte Knowhow in einem Konzern haben und von kurzen Wegen profitieren.
Martin Kauert: Die Nutzung unserer Synergien stand bei der Zusammenarbeit stets im Fokus. So erarbeiteten wir eine funktionierende Lösung, die durch die Kombination unserer Kompetenzen unseren Kundinnen und Kunden einen Mehrwert bringt. Sie haben mit der BKW einen Ansprechpartner für das integrale Energiemanagement, das Lösungen aus den Bereichen Gebäudetechnik und Energiedienstleistung kombiniert.
Welche Unternehmen können von dieser Innovation profitieren?
Martin Kauert: Um ein Gebäude oder eine Anlage in unser virtuelles Kraftwerk aufzunehmen, muss die verfügbare Leistung mindestens 200 kW betragen. Zudem hilft es bei der Vermarktung, wenn wir eine hohe Verfügbarkeit der Leistung erhalten, also wenn die Anlagen auch während einer längeren Zeit ein- oder ausgeschaltet werden können. Dafür eignen sich beispielsweise grosse chemische Speicher sowie Wärme- und Kältespeicher.
Bernhard Sax: Geeignet sind Gebäude mit grossen Hallen und viel Masse im Innern, die bei den Parametern der Gebäudetechnik Margen aufweisen. Wenn es keine Rolle spielt, ob die Innentemperatur 18 oder 20 Grad ist, können wir diese zwei Grad flexibel nutzen. So können wir mit Heizen zuwarten oder vorheizen, wenn viel Energie im Netz verfügbar ist. Grosse hydraulische Netze wie Heiz- und Kühlsysteme mit viel Speichermassen sind ideal.
Beispielsweise?
Bernhard Sax: Büro- und Gewerbebauten mit Klimatisierung sind ein gutes Beispiel: Diese haben fast immer einen Speicher, denn kaum eine Kälteanlage produziert «Just-in-Time». Abhängig vom Energiebedarf im Netz kann der Speicher nun früher oder später aufgefüllt werden.
Wie hoch sind die Kosten für das integrale Energiemanagement?
Bernhard Sax: Das hängt stark von der Bestandsanlage ab. Von pi-System verbaute Systeme verfügen bereits über das nötige Grundgerüst und müssen lediglich um die intelligente Steuerung ergänzt werden. Je nach Steuerung ist aber ein deutlich höherer Programmierungs- und Engineering-Aufwand erforderlich, um das integrale Energiemanagement zu implementieren.
Martin Kauert: Derzeit existieren Pilotprojekte in diesem Bereich, daher lernen wir noch laufend dazu, welche Anlagen sich für die Integration ins virtuelle Kraftwerk lohnen. Die Erlöse am Regelmarkt sind aber sehr attraktiv. Ein Betreiber einer steuerbaren 1-MW-Anlage kann je nach Regelenergieprodukt und Marktentwicklung jährlich rund 50’000 Franken am Regelenergiemarkt verdienen.
Bernhard Sax: Ziel wäre sicherlich, dass sich die Investitionen bereits nach 2-3 Jahren amortisiert haben. Nach einer Analyse der Bestandsanlage können wir das Interessenten genauer beziffern.
Martin Kauert: Ausserdem eröffnen sich für Kundinnen und Kunden mit der Anbindung ihrer Anlagen weitere Möglichkeiten am Strommarkt teilzunehmen und aktiv Kosten einzusparen. Etwa im Bereich Strombeschaffung oder -vermarktung.
Interessiert?
Ihr Gebäude verfügt über Heizungs-/Lüftungs- und Kühlungsanlagen oder Batterien, die Sie flexibel betreiben können? Damit erhalten Sie am Regelstrommarkt attraktive Erlöse. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf und erfahren Sie, wie wir Ihre Gebäudeautomation fit für ein integrales Energiemanagement machen.
So geht integrales Energiemanagement bei Brack
Beim Onlinehändler Brack.ch hat pi-System das integrale Energiemanagement in einem Pilotprojekt erfolgreich umgesetzt. In einem der grössten Warenlager der Schweiz herrschen gute Bedingungen, um das Potenzial der innovativen Lösung auszuschöpfen. So verfügt das Gebäude etwa über sehr grosse Wärme- und Kältenetze mit mehreren Speichermassen. So umfasst das Niedertemperaturnetz 168'000 Liter, das Kaltwasser-Netz 297’000 Liter und das Hochtemperatur-Netz rund 20’000 Liter.
Reserven als Flexibilität nutzen
Die Speicher dienen für das integrale Energiemanagement als Puffer, um die Anlagen je nach Netzauslastung flexibel zu steuern. So können die Speicher etwas früher oder später wieder aufgeladen werden oder sie werden nicht ganz aufgeladen, damit bei einem Abruf des virtuellen Kraftwerks der Verbrauch gesteigert werden kann.
Wie vielfältig die Anlagen für das integrale Energiemanagement sein können, zeigt ein weiteres Beispiel bei Brack. Zur Brandverhütung sind die Lager stickstoffgeschwängert (inertisiert). Das ist aufgrund der benötigten Druckluft ein energieaufwändiger Prozess. Auch hier dienen die Toleranzbereiche der Kompressoren als Reserve für die flexible Ein- oder Abschaltung.
Komplexe Systeme und betriebliche Prozesse
Um eine hohe Verfügbarkeit für Abrufe im Bedarfsfall zu gewährleisten, ist eine Kombination mehrerer Anlagen im Gebäude zwingend notwendig. Denn einerseits müssen die Bedingungen der technischen Anlage sowie betriebliche Prozesse berücksichtigt werden. Grosse Wärmepumpen sind beispielsweise in sich relativ komplexe Geräte, bei denen bestimmte Vorlauf- und Durchspülzeiten sowie Mindestlaufzeiten und Wiedereinschaltsperren gelten. Bei Brack sind sechs Wärmepumpen im Gebäudesystem verfügbar von denen parallel meist drei Stück durchgehend im Betrieb sind. In Kombination mit den grossen Speichern bietet dies entsprechenden Spielraum.
Im betrieblichen Prozess von grossen Logistik- und Produktionsstätten sind diverse Abhängigkeiten vorhanden. Darum ist eine genaue Analyse mit dem Kunden notwendig, um herauszufinden, welche Anlage wie flexibel genutzt werden kann. So ist beispielsweise die Kühlung eines Rechenzentrums zu kritisch, um es für das Pooling im virtuellen Kraftwerk zu nutzen. Hingegen sind Lagerkühlungen unkritischer, da Temperaturabweichungen von zwei bis drei Grad in der Regel nicht entscheidend sind.
Das ausgeklügelte integrale Energiemanagement der pi-System ist so ausgerichtet, dass die Reserven geschickt genutzt werden, ohne dass die flexible Nutzung eine Auswirkung auf den betrieblichen Prozess hat. Das gelingt nur, wenn das Zusammenspiel zwischen der Gebäudeautomation, die Kommunikation mit dem virtuellen Kraftwerk und die Prognosen rund um die Energienutzung und Betriebsbedürfnisse optimal aufeinander abgestimmt sind.