Corinne Montandon sitzt seit Anfang dieses Jahres in der Konzernleitung der Berner Energie- und Infrastrukturdienstleisterin BKW. Das Büro der 45-jährigen Wirtschaftsinformatikerin, in dem einzig ein Andy-Warhol-Siebdruck von Marilyn Monroe hängt, widerspiegelt ihre unaufgeregte Art.
Corinne Montandon, im August erschien der jüngste Bericht des Weltklimarats. Die ETH Klimaforscherin Sonia Seneviratne sagte in einem Interview dazu, wer auf technologische Hilfe hoffe, sei auf dem falschen Weg. Wir müssten im Kampf gegen den Klimawandel, so schnell es geht, so viel CO2-Emissionen wie möglich reduzieren. Stimmen Sie zu?
Die Wissenschaftlerin hat insofern sicher recht, als dass der Klimawandel eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit ist. Für einen schonenden Umgang mit der Umwelt setzen wir bei der BKW auf technologische und innovative Lösungen, beispielsweise in der Gebäudetechnik. Intelligent vernetzte Gebäude mit Photovoltaik und einem smarten Energiesystem verursachen viel weniger CO2.
Die Wissenschaft vertritt die These, dass Klimaschutz nicht ohne Konsumeinschränkung funktioniert, dass wir auf gewisse Dinge verzichten sollen. Einverstanden?
Definitiv. Wir müssen umdenken und unseren Konsum einschränken, denn die Ressourcen unserer Erde sind endlich.
Zum Thema «Umdenken»: Was ist heute möglich, was vor zehn Jahren noch als Utopie galt?
Wer vor zehn Jahren ein Elektromobil fuhr, galt als Idealist. Heute gilt man als rückständig, wenn man kein solches Fahrzeug fährt. Auch in den Gebäuden fand ein Umdenken statt: Erdöl ist nicht mehr die Nummer eins bei Heizungen, heute sind Wärmepumpen Standard. Es gibt auch Häuser, die mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen.
Wir sparen zwar Energie – aber gleichzeitig wird immer mehr Strom verbraucht. Ein kürzlich erschienener Energiebericht rechnet in Zukunft mit einem Mehrbedarf von dreissig bis fünfzig Prozent. Wie gehen wir um mit diesem Paradox?
Es ist ein Dilemma. Alle Technologien zur Dekarbonisierung brauchen Strom. Wenn wir Fahrzeuge wollen, die keine CO2-Emissionen verursachen, sind wir sofort bei der Elektrifizierung und beim steigenden Stromverbrauch. Das Gleiche gilt beim Heizen: Eine Erdölheizung verbraucht keinen Strom, eine Wärmepumpe jedoch schon.
Wo besteht das bedeutendste Potenzial beim Stromsparen?
Alle können etwas dazu beitragen. Ein Beispiel ist die dynamische Lichtsteuerung. Wir haben heute die technischen Möglichkeiten, dass das Licht automatisch ausgeht, wenn man einen Raum verlässt. Auch im öffentlichen Raum bieten wir fortschrittliche Lösungen, beispielsweise Fussgängerstreifen, die nachts nur voll beleuchtet werden, wenn sich jemand ihnen nähert.
Wie wohnen Sie?
Mein Partner und ich haben das Haus meiner Grosseltern übernommen und dieses maximal renoviert – mit Wärmedämmung und neuen Fenstern. Gleichzeitig haben wir eine Solaranlage für das Warmwasser, Photovoltaik ist der nächste Schritt.
Die Schweiz ist ein Land von Mietern. Welche Möglichkeiten haben diese?
Fast jeder Stromanbieter hat ein Produkt mit hundert Prozent erneuerbarer Energie. Mieterinnen und Mieter können sich auch zusammenschliessen und den Eigentümern eine Photovoltaikanlage schmackhaft machen.
Strom finden die meisten nicht sehr spannend. Man bezahlt die Rechnungen, und damit hat es sich. Wo liegt für Sie der Reiz des Themas?
Strom wird als selbstverständlich betrachtet, doch dahinter liegt ein hochkomplexes System. Das Stromnetz fasziniert mich, auch weil es sich zurzeit im Umbruch befindet. All die Bestrebungen für mehr erneuerbare Energie funktionieren nur, wenn man auch den Transport anschaut. In der alten Welt gab es ein grosses Kraftwerk, dazu Leitungen, die den Strom zum Kunden führten. Heute haben wir viel mehr dezentrale Produktion – eine Windturbine, dazu Solarstrom vom Dach – und mehr Verbraucher am Netz, wie zum Beispiel Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge. Das Netz muss diese schwankenden Belastungen stemmen können. Wir schaffen das nur, wenn wir datenbasierte Steuerung herbeiziehen – womit wir bei meinem Herzensthema wären, der Data Science – aus Daten Mehrwert schaffen.
Klingt spannend, aber auch kompliziert. Können Sie das genauer erklären?
Die neuen Herausforderungen können wir nur packen, wenn wir Data Science und künstliche Intelligenz nutzen. Wenn zum Beispiel alle ihr E-Auto gleichzeitig laden würden, wären unsere Netze komplett überlastet. Im Projekt Hive setzen wir dafür auf Energiezellen: Jede Zelle ist wie eine kleine Welt aus unterschiedlichen Stromproduzenten und -verbrauchern zusammen-gesetzt. Algorithmen regeln dann den Ausgleich innerhalb und zwischen diesen Zellen.
Ein Prinzip der BKW ist die Bereitstellung von sauberer Energie. Wie definieren Sie diese?
Es geht um Strom, der produziert wird, ohne CO2 zu verursachen: Windkraft, Photovoltaik und die Wasserkraft, die in der Schweiz den Hauptanteil ausmacht.
In Ihrem Strommix beträgt der Anteil der Wasserkraft vierzig Prozent. Soll diese Dominanz weiter ausgebaut werden?
Wir investieren nur, wenn es wirtschaftlich Sinn macht, das Projekt beim Grossteil der Bevölkerung willkommen ist und wir Sicherheit haben, dass die staatlichen Rahmenbedingungen nicht während der Laufzeit negativ geändert werden können. Da hat die Branche mit dem Staat schlechte Erfahrungen gemacht. Wir brauchen Rechtssicherheit.
Wie wichtig ist die Windkraft?
In Frankreich, Deutschland, Italien, Norwegen besteht Potenzial, und wir sind dort aktiv. In der Schweiz würden wir gern Windkraftwerke bauen. Es gibt zwei bis drei Standorte, die sich eignen würden. Aber durch die vielen Einsprachen dauert das sehr lange.
Wie gross ist das Solarstrom-Potenzial in der Schweiz?
Wir haben im Sommer viel Solarstrom, aber im Moment fehlen uns noch die Speichermöglichkeiten, um damit den Strombedarf im Winter zu decken. In einem Pilotprojekt sind wir daran, ausgediente Autobatterien als Speicher einzusetzen. Aber dieses ist noch im Tüftelstadium.
Das eigene Kernkraftwerk hat die BKW abgeschaltet. Wie sieht es aus mit Beteiligungen an KKWs und dem Einkauf von Atomstrom?
Neunzehn Prozent unseres Strommixes besteht aus Atomstrom. Das sind Beteiligungen, die wir haben, bis diese Anlagen vom Netz gehen.
Sie haben am Anfang die Elektromobilität angesprochen. Was braucht es für ein nachhaltiges, klimafreundliches Mobilitätskonzept?
Die Grundvoraussetzung, damit sich die Elektromobilität durchsetzen kann, ist ein gut ausgebautes Netz an Ladestationen. Nur jene zu Hause in der Garage reichen nicht aus, man bewegt sich ja. Wir sind der einzige Komplettanbieter von Ladestationen in der Schweiz. Wir planen, bauen, überwachen und betreiben sie und rechnen auch ab.
Auch mit dem Aufkommen der Elektroautos muss der Individualverkehr laufend neu durchdacht werden. Und wie steht es mit dem öffentlichen Verkehr?
Wir sind im Projekt Train Solaire im Jura involviert, eine Bahn mit Solarstrom. Sie soll 2022 in die Realisierung gehen.
Wie sind Sie selbst mobil?
Da ich auf dem Land wohne, habe ich zwar ein Auto, aber ich bin seit eh und je überzeugte Zugfahrerin. Ich habe grad kürzlich ausgerechnet, dass ich seit meinem zwölften Lebensjahr ein GA habe.