Der Rückbau des Kernkraftwerks Mühleberg (KKM) ist auf Kurs. Bis zum Abschluss der aufwendigen Rückbauarbeiten ist der Weg jedoch noch weit, wie ein Besuch der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vor Ort verdeutlichte. Mit diesen Worten leitet die nationale Nachrichtenagentur Keystone-SDA den Bericht zu einem Rundgang durch die wohl sauberste Baustelle der Schweiz ein.
Seit der Einstellung des Leistungsbetriebs Ende 2019 wurden knapp 5400 Tonnen Material abtransportiert, wie es vom für den Rückbau verantwortlichen Energieunternehmen BKW auf Anfrage hiess. Das entspricht ungefähr einem Drittel der geschätzten zu behandelnden Masse. Im September 2023 wurden die letzten Brennelemente aus dem Kernkraftwerk abtransportiert. «Das wichtigste Etappenziel der Stilllegung haben wir damit erreicht», sagte der Leiter Nukleare Strategie der BKW, Urs Amherd, gegenüber Keystone-SDA. Damit stelle das Kernkraftwerk keine nukleare Gefahrenquelle mehr dar.
Bis das Areal des Kraftwerkes anders genutzt werden kann, dauert es gemäss Zeitplan der BKW bis 2034. Der gesamte Rückbau wird dann 15 Jahre gedauert haben – dreimal so lange wie der Bau des Kraftwerks zwischen 1967 und 1972.
Strenge Sicherheitsmassnahmen
Trotz entfernter Brennstäbe gelten nach wie vor strenge Sicherheitsmassnahmen beim Betreten der Anlage. Wer das KKM betritt, hat ein Dosimeter bei sich, das die Strahlenbelastung misst – und trägt spezielle Schutzanzüge. Zudem muss man mehrere Sicherheitskontrollen passieren, um in die Kontrollierte Zone zu gelangen.
Von aussen sah das Kernkraftwerk beim Besuch aus wie immer. Auch der Parkplatz war voll. Knapp 300 Menschen sind mit dem Rückbau beschäftigt. Es arbeiten damit im Moment etwa gleich viele Menschen im Atomkraftwerk, wie während des Betriebs.
Jede einzelne Schraube
Im Innern des KKM waren die Spuren des Rückbaus aber deutlich sichtbar. Überall standen Boxen mit demontierten Teilen, viele Anlagen waren komplett demontiert.
Der Rückbau des Kernkraftwerks ist ein äusserst aufwendiger Prozess. Jede einzelne Schraube muss demontiert, gereinigt, und gemessen werden, bevor sie das KKM verlassen darf.
Unterschieden wird zwischen aktiviertem Material und kontaminiertem Material. Bei aktiviertem Material handelt es sich um Material, welches durch Bestrahlung mit Neutronen radioaktiv wurde. Das aktivierte Material muss als radioaktiver Abfall entsorgt werden. Hochaktive Stoffe werden in einem Becken unter einer dicken Wasserschicht gelagert, das Wasser dient der Abschirmung. Jeder Meter Wasser reduziert die Strahlung um rund einen Faktor 1000.
In Boxen verpackt
Kontaminiertes Material ist dagegen nicht selbst radioaktiv, sondern mit Radionukliden verunreinigt. Die Verunreinigungen stammen aus dem Kontakt des Materials mit Flüssigkeiten oder Gasen die radioaktive Partikel enthielten. Da sie nur die Oberfläche betreffen, können sie entfernt werden. Die entfernten Verunreinigungen werden als radioaktiver Abfall entsorgt. Einiges wird zur Dekontamination in Säure eingelegt. Andere kommen in die sogenannte Muldenband-Strahlanlage, eine Art Waschmaschine für Stahlteile. Ausserdem kommen Hochdruckreiniger zum Einsatz, die bis zu 20 Mal so viel Druck wie haushaltsübliche Kärcher haben.
Sind die Teile zu gross, werden sie zersägt. Die Einrichtung des Kraftwerks muss in 80 mal 120 Zentimeter grossen Boxen durch eine Freimessschleuse passen. Diese sieht wie ein Gepäckscanner am Flughafen aus. In der Schleuse wird gemessen, ob die Radioaktivität des Materials unter den gesetzlich festgelegten Grenzwerten liegt. Grössere Einzelstücke werden von Hand gemessen, so auch die Bausubstanz. Gibt die Anlage grünes Licht, darf das Material nach draussen. Ein Grossteil davon landet bei Schrotthändlern oder auf Deponien.
Keine Verzögerung – trotz Schadstoffen
Zu schaffen machen beim Rückbau aber auch andere Schadstoffe. So wurde mehr Asbest gefunden, als bei der Planung erwartet wurde. Ausserdem wurden im KKM auch PCB- oder bleihaltige Farbstoffe verwendet. «Wir mussten wegen chemischen Schadstoffen, nicht wegen der Radioaktivität, sogar die Schutzkleidung wechseln», sagte Amherd. Zu Verzögerungen des Gesamtprojekts komme es deswegen aber nicht.
Das KKM ist das erste Kernkraftwerk der Schweiz, das stillgelegt wurde. Der Entscheid zur Stilllegung im Jahr 2013 erfolgte aus wirtschaftlichen Gründen.
Mitte Oktober 2023 besuchte die Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA das Kernkraftwerk Mühleberg. Zahlreiche Medien – vor allem aus der Westschweiz und aus dem Tessin – haben die Reportage veröffentlicht. Die BKW darf den leicht angepassten Artikel ebenfalls publizieren.