Vögel zwitschern, Frösche und Gelbbauchunken quaken, manchmal entdeckt man auch eine Blindschleiche oder Eidechse. Es ist idyllisch an der Aare bei Mühleberg. Rund um das Kernkraftwerk haben zahlreiche Tiere einen Lebensraum gefunden. Drinnen, vor allem in der kontrollierten Zone, schreiten die Rückbauarbeiten planmässig voran. Wie im privaten Haushalt ist es auch im KKM das Ziel, möglichst viel Material wiederzuverwenden. Während die Recyclingquote in den Haushalten über 50 Prozent beträgt, kommt das KKM auf eine Quote von über 90 Prozent.
Aufwendiger Materialfluss
Damit aber Material fachgerecht rezykliert oder entsorgt werden kann, muss es zuerst demontiert und vor allem gereinigt und freigemessen werden, denn alles aus dem Inneren des Kernkraftwerks ist potenziell radioaktiv verunreinigt. Insgesamt werden in der kontrollierten Zone rund 17’000 Tonnen Material demontiert. Sylvain Pelloux, Gruppenleiter Inaktivfreigabe, erklärt den Prozess: «Alle Teile, die wir demontieren, müssen wir zerlegen und dekontaminieren. Das kann eine Schraube, ein Rohr oder eine Metallplatte sein. Die wichtigsten Fragen lauten: Um welche Materialart handelt es sich? Woher kommt das Teil? Ist es radioaktiv und/oder mit Schadstoffen verunreinigt?» Im nächsten Schritt geht’s in die Materialbehandlung. «Hier dekontaminieren und zerlegen wir. Rohre werden zum Beispiel aufgeschnitten, damit wir sie auch im Inneren reinigen können und sie die Bedingungen für die Freimessung erfüllen.» Wenn alle Grenzwerte und Kriterien erfüllt sind, wird das Material in eine Halle transportiert. Sobald die Behörden grünes Licht geben, darf es das KKM verlassen. Was nicht dekontaminiert werden kann, wird als radioaktiver Abfall ins Zwischenlager nach Würenlingen gebracht.
Der Wertstoffkreislauf schliesst sich
Alles, was frei von Radioaktivität ist, wird rezykliert oder entsorgt. So hat zum Beispiel ein Recyclingunternehmen zwei tonnenschwere Generator-Statoren – während des Betriebs sorgten sie im Zusammenspiel mit den Rotoren für die Stromproduktion – in ihre Einzelteile zerlegt und Kunststoffe sowie weitere nicht metallische Materialien von Metallen getrennt. Die Metalle wie Kupfer wurden anschliessend sortenrein getrennt, zerkleinert und fachgerecht rezykliert. Ein weiteres Beispiel sind die Splitterschutzsteine. Die grossen Betonelemente hätten bei einer mechanischen Störung die Umgebung vor Turbinensplittern geschützt. Einige Steine blieben auf dem KKM-Areal, den Grossteil zerkleinerte die Firma Vigier in einem mehrstufigen Verfahren auf Kieselsteingrösse. Daraus entstand Zement. Der Wertstoffkreislauf schliesst sich: Als Bestandteile von Brücken, Häusern oder Tunnels erhalten die Steine ein neues Leben.
Ausstellungsobjekt im Museum
Und wie sieht es ausserhalb der kontrollierten Zone aus? Hier kommt Sara Kotnik ins Spiel, die Spezialistin für konventionelle Entsorgung: «Alles, was sich nicht in der kontrollierten Zone befand, fällt in meinen Zuständigkeitsbereich, ebenso wie das freigemessene Material, das die Baustelle als normaler Abfall verlässt.» Damit meint sie etwa Laub, Torf, Erdaushub, Öle, Chemikalien, aber auch einfachen Hausmüll sowie Stahl, Betonstücke, alte Motoren oder Elektrogeräte.
Doch es gibt jemanden im KKM, der manchmal «dazwischengrätscht»: Felix Reinfeld. Als Fachkraft strategische Entsorgung sorgt er dafür, dass wertvolle Teile frühzeitig gekennzeichnet und sorgsam behandelt werden. Zum Beispiel könnte ein Teil des Pults aus dem Kommandoraum den Weg ins Bernische Historische Museum als Ausstellungsobjekt finden. Kupfer, Stahl und Messing sind gefragte Rohstoffe, die verkauft werden können. Ausserdem gibt es Komponenten, etwa die Prüfvorrichtung für Druckeinrichtungen oder Ersatzrotoren für Generatoren, welche für bestehende Kernkraftwerke interessant sind. «Auch viele kleine Teile können wir an andere Anlagen verkaufen», sagt Felix. Und er ergänzt: «Das Recycling ist nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen wichtig, da die Entsorgung immer kostspielig ist.»
Was passiert mit den Gebäuden?
Abhängig davon, ob das Areal künftig industriell oder naturnah genutzt wird, werden nicht mehr benötigte Gebäude ab 2031 abgebrochen. Ab 2034 kann das Areal neu genutzt werden. Bis es so weit ist, bemüht sich das KKM, so umweltfreundlich und ressourcenschonend wie möglich zu arbeiten. So bezieht das stillgelegte KKM Strom zu 100 Prozent aus dem nahegelegenen Wasserkraftwerk, bewahrt die Biotope auf dem Gelände und rundherum und schafft so Lebensräume für Gelbbauchunken, Frösche und Co.