Es ist längst kein Geheimnis mehr: das Energiesystem ist im Umbruch. Getrieben durch die Forderungen des Bundesrates bis 2050, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen, die erneuerbaren Energien zu fördern und eine klimaneutrale Schweiz zu erreichen, sowie durch technische Innovationen transformiert sich das Energiesystem der Schweiz. Das spürt auch die BKW mit ihrem ländlichen Verteilnetz besonders stark. Während mehr als 120 Jahren waren Laufwasserkraftwerke die dominierenden Produktionsanlagen im Verteilnetz der BKW (da die Kraftwerke Oberhasli KWO und das Kernkraftwerk Mühleberg direkt an das Höchstspannungsnetz der Swissgrid angeschlossen sind beziehungsweise waren). Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Heute ist die installierte Leistung der mittlerweile über 13’000 Photovoltaikanlagen im Verteilnetz der BKW mit insgesamt 273 Megawatt höher als diejenige der Wasserkraftwerke (272 Megawatt). Während die installierte Leistung der Wasserkraft weitgehend konstant bleibt, werden täglich bis zu zehn neue Photovoltaikanlagen ans Verteilnetz der BKW angeschlossen. Trotzdem sind in der Schweiz – und auch im Verteilnetz der BKW – erst rund fünf Prozent des Ausbaus realisiert, welchen es gemäss den Energieperspektiven 2050+ des Bundesamtes für Energie (BFE) benötigt, um die Ziele der Energiestrategie 2050 und der klimaneutralen Schweiz zu erreichen. Die tiefgreifende Transformation der Energiebranche steht also immer noch am Anfang, macht sich jedoch im Verteilnetz der BKW bereits heute deutlich bemerkbar.
Leistungsauftrag der Verteilnetze: Effiziente Netze für Lastspitzen dimensionieren
Ursprünglich wurden die Verteilnetze gebaut, um Energie aus wenigen, zentralen Kraftwerken an die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verteilen. Diese Hauptaufgabe drückt sich auch im Namen «Verteilnetz» aus. Technisch sind die Verteilnetze so gebaut, dass sie einerseits die Leistung, welche die Verbraucherinnen und Verbraucher maximal beziehen, übertragen und andererseits die installierte Leistung aller Erzeugungsanlagen zu jedem Zeitpunkt aufnehmen können. Um dies zu garantieren, werden sie stets auf die maximale Belastung beziehungsweise Leistungsspitze ausgelegt. Für diese Dimensionierung des Verteilnetzes werden typischerweise zwei Extremfälle betrachtet: Der Starklastfall und der Starkeinspeisefall. Der Starklastfall, der oft auch «Winterwerktag» genannt wird, ist gekennzeichnet durch einen maximalen Verbrauch und eine minimale Erzeugung. Beim Starkeinspeisefall, oft auch «Sommersonntag» genannt, ist dagegen der Verbrauch minimal tief und die Erzeugung maximal hoch.
Photovoltaikanlagen stellen das Verteilnetz auf den Kopf
Photovoltaikanlagen wirken sich nun stark auf diese beiden Extremsituationen aus. Im Starklastfall «Winterwerktag» erzeugen die Photovoltaikanlagen kaum Elektrizität, weil die Sonne gar nicht oder nur sehr schwach scheint. In diesem Fall wird der erhöhte Stromverbrauch – wie bereits heute – entweder durch Grosskraftwerke oder Stromimporte gedeckt. In diesem Fall fliesst der Strom hauptsächlich von den zentralen Netzpunkten an die äussersten Punkte des Verteilnetzes zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Im Gegensatz dazu erzeugen die Photovoltaikanlagen im Starkeinspeisefall «Sommersonntag» lokal sehr viel Elektrizität, weil die Sonne lange und kräftig scheint. Da der lokale Stromverbrauch gleichzeitig jedoch oft gering ist, wird beinahe die gesamte von den Photovoltaikanlagen produzierte Elektrizität ins Stromnetz eingespiesen. Nun fliesst der Strom von den äussersten Punkten des Verteilnetzes zu den zentralen Netzpunkten zurück. Photovoltaikanlagen stellen das Verteilnetz also buchstäblich auf den Kopf. Die Folge: Jede neue Photovoltaikanlage kann dazu führen, dass das Verteilnetz ausgebaut werden muss, um einerseits die ganze durch die Photovoltaikanlage erzeugte Elektrizität aufnehmen zu können und andererseits, um eine unzulässige Spannungserhöhung bei den Endpunkten – also bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern – zu vermeiden. Insbesondere an sonnigen Tagen besteht ansonsten die Möglichkeit, dass die Spannung bei den Steckdosen im Haushalt 230 Volt übersteigt. Wenn die Spannungsabweichung grösser als 10 Prozent ist, führt dies im schlechtesten Fall zu Schäden an den eingesteckten Geräten.
Netzplanung: Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen
Nebst der hohen Anzahl neuer Photovoltaikanlagen kommt für die Verteilnetze hinzu, dass sich Photovoltaikanlagen innerhalb weniger Wochen installieren und ans Netz anschliessen lassen. Dadurch wird der Netzausbau schwieriger planbar. Um dieser Situation gerecht zu werden, hat die BKW Lösungen zur Simulation und Automatisierung der Netzplanung sowie zur Vorhersage des neuen, aktiven Kundenverhaltens entwickelt. Dazu werden auch Möglichkeiten der «künstlichen Intelligenz» genutzt. So können die Netzaus- und umbaukosten so tief wie möglich gehalten und das Verteilnetz möglichst optimal dimensioniert werden. Fest steht, dass der fundamentale Wandel des Energiesystems noch lange nicht abgeschlossen ist. Aus diesem Grund setzt sich die BKW intensiv mit diesen Veränderungen auseinander. Sie meistert die netzseitige Komplexität der Energiewende, indem sie weiter innovative Lösungen für das energetische Gesamtsystem der Zukunft entwickelt.