Stromnetze sind das Rückgrat einer modernen Gesellschaft, weil sie das Bindeglied zwischen Erzeugung und Verbrauch elektrischer Energie sind. Diese verbindende Aufgabe gewinnt mit dem Ausbau der dezentralen Photovoltaik, der Elektrifizierung des Individualverkehrs und der vermehrten Installation von Wärmepumpen stark an Bedeutung. Dank leistungsfähiger Stromnetze wird die elektrische Energie auch in Zukunft zu jeder Zeit an jedem Ort in der benötigten Menge zuverlässig verfügbar sein.
Warum sich die Energiewende insbesondere auf die Mittel- und Niederspannungsnetze auswirkt
Die Stromnetze der Schweiz lassen sich in Höchst-, Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetze unterteilen. Den mit knapp 70 Prozent grössten Anteil haben die mehrheitlich unterirdisch verlegten Mittel- und Niederspannungsnetze. Rund 20 Prozent machen die Hochspannungsnetze aus und mit rund 10 Prozent folgt das Höchstspannungsnetz der Swissgrid. Während Grosskraftwerke ins Höchst- und Hochspannungsnetz einspeisen, sind Photovoltaikanlagen grossmehrheitlich an die Mittel- und Niederspannungsnetze angeschlossen. Die Branche geht davon aus, dass auch zukünftig über 90 Prozent aller Photovoltaikanlagen – und davon 75 Prozent auf dem Land – in diese Netze einspeisen. Insbesondere in ländlichen Gebieten sind die Netze nicht für diesen Leistungszuwachs dimensioniert. Ebenso wird die Ladeinfrastruktur für Elektroautos vollständig an die Mittel- und Niederspannungsnetze angeschlossen sein. Bei der Elektrifizierung des Wärmebedarfs durch den Einsatz von Wärmepumpen zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die Konsequenz: Diese drei Entwicklungen führen zu einem viel höheren Leistungsbedarf in den Mittel- und Niederspannungsnetzen und werden diese Netze ohne deren Ausbau stark überlasten.
Leistungsauftrag der Stromnetze
Die Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetze werden so dimensioniert, dass sie einerseits die maximale Leistung, welche die Verbraucherinnen und Verbraucher beziehen, abgeben können, und andererseits, dass sie die installierte Leistung aller Erzeugungsanlagen zu jedem Zeitpunkt aufnehmen können. Um dies zu garantieren, werden sie stets auf die maximale Belastung beziehungsweise Leistungsspitze ausgelegt. Typischerweise werden dazu zwei Extremfälle betrachtet: Der Starklastfall ist gekennzeichnet durch einen maximalen Verbrauch und eine minimale Erzeugung in diesen Netzen. Dieser Fall tritt oft im Winter ein. Im Starkeinspeisefall ist dagegen der Verbrauch in diesen Netzen minimal tief und die Erzeugung maximal hoch. Das passiert oft an einem Sonntag im Sommer.
Photovoltaikanlagen verändern Stromflüsse
Aufgrund ihrer Photovoltaikanlagen werden viele der heutigen Verbraucherinnen und Verbraucher auch zu Stromerzeugern und somit zu sogenannten Prosumern. Während der Strom im Starklastfall wie bereits heute vom Höchst- und Hochspannungsnetz zu den Prosumern als Verbraucher gelangt, fliesst er im Starkeinspeisefall von den Prosumern als Erzeugerinnen zurück in die Netze. In der Folge kann jede neue Photovoltaikanlage zu einem Netzausbau führen, damit die veränderten Stromflüsse aufgenommen werden können. Die Dimension dieses Ausbaubedarfs zeigt ein Blick auf die Energieperspektiven 2050+ des Bundes: Gemäss diesen soll sich die installierte Leistung von Photovoltaikanlagen bis 2050 von 2,5 GW auf 37,5 GW erhöhen. Bei einer heute durchschnittlichen Anlagengrösse von 22 kW bedeutet dies einen Zubau von 1,6 Millionen Photovoltaikanlagen, die im Starkeinspeisefall alle ihren Strom in die Stromnetze einspeisen werden.
E-Mobilität erhöht Verbrauchslast
Die Elektrifizierung des Individualverkehrs erhöht hingegen den Energie- und Leistungsbedarf auf der Verbrauchsseite. Eine Ladestation für ein Einfamilienhaus kann die heute maximale Verbrauchslast verdoppeln. Neueste Prognosen gehen davon aus, dass 2035 bereits die Hälfte aller Personenwagen elektrisch sein werden; der Bund rechnet bis 2050 mit einer vollständigen Elektrifizierung aller Personenwagen, also 3,6 Millionen Stück. Viele dieser Fahrzeuge werden an Ladestationen zu Hause und somit über das Niederspannungsnetz geladen. Die übrigen Ladevorgänge werden am Arbeitsplatz und an Schnellladestationen durchgeführt, welche mehrheitlich an das Mittelspannungsnetz angeschlossen sind. Was bedeutet dies in Zahlen ausgedrückt? Werden bereits 400 000 Personenwagen mit einer typischen Ladeleistung von 11 kW gleichzeitig geladen, bedeutet dies einen Lastzuwachs von 4,4 GW. Dies entspricht 46 Prozent der Maximallast in der Schweiz im Jahr 2020.
Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen
Das Synergiepotenzial zwischen Photovoltaikanlagen und E-Mobilität hinsichtlich des Netzausbaus ist relativ gering. Um den Netzausbau und die damit anfallenden Kosten zu optimieren, hat BKW Power Grid Lösungen zur Simulation und Automatisierung der Netzplanung sowie zur Vorhersage des Verhaltens der Kundinnen und Kun-den entwickelt. Dazu setzt BKW Power Grid stark auf Digitalisierung, nutzt die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz und verbindet internes Wissen mit öffentlich verfügbaren Informationen und Datenbanken. Algorithmen von BKW Power Grid rechnen zum Beispiel jede Nacht das Stromnetz der BKW mit einer Leistung von 100 Ingenieurjahren durch, um freie Netzkapazitäten für den Anschluss neuer Photovoltaikanlagen oder Grenzwertverletzungen zu ermitteln.
Rahmenbedingungen für das optimierte Stromnetz schaffen
Neben technischen Lösungen kann auch die Gesetzgebung die Kosten für die Energie- und Klimawende positiv beeinflussen. Wenn Photovoltaikanlagen auf 70 Prozent ihrer installierten Leistung begrenzt werden, können bis 2050 Netzausbaukosten in Milliardenhöhe eingespart werden. Diese Begrenzung reduziert dabei die jährlich produzierte Energiemenge nur um drei Prozent. BKW Power Grid analysiert auch, wie die Lastspitzen aus E-Mobilität und Wärmepumpen abgeschwächt werden können beziehungsweise der Verbrauch über die Zeit geglättet werden kann – ohne Komfort- und Qualitätseinbusse bei den Kundinnen und Kunden zu verursachen. Der effektivste – und günstigste – Weg, die Netzkosten den Kundinnen und Kunden ins Bewusstsein zu rücken, ist hingegen eine verursachergerechte Netztarifierung. Ein einfacher Tarif, der die angeschlossene Leistung bepreist, setzt effektive Anreize, Lastspitzen im Stromnetz zu glätten und so den Netzausbau zu optimieren. Die BKW hat diesen Vorschlag den Behörden unterbreitet.
Gesamtheitliche Lösungen
Fest steht, dass der fundamentale Wandel des Energiesystems gerade erst begonnen hat und die Energie- und Klimawende uns alle betrifft. Somit gilt es, gemeinsam Lösungen zu fördern, die Erzeugung, Netze und Verbrauch elektrischer Energie als ein zusammenhängendes System betrachten und optimieren. Mit dem Zusammenspiel von Leistungsbegrenzung bei Photovoltaikanlagen, einer Tarifierung gemäss der angeschlossenen Leistung, dem intelligenten Laden von Elektrofahrzeugen und dem abgestimmten Einsatz von Wärmepumpen sowie digitaler Netzplanung und digital unterstütztem Netzbetrieb schaffen wir es, dass das Stromnetz weniger stark ausgebaut werden muss. Denn ohne diese Optimierungen kostet der zusätzliche Netzausbau für Photovoltaik, E-Mobilität und Wärmebedarf gemäss einer Studie von BKW Power Grid und der Universität Genf allein im Schweizer Niederspannungsnetz 11 Milliarden Franken.