Die Politik zielt mit Stromgesetz und Solarexpress auf den grossflächigen Ausbau von Solarflächen. Genügt das, um die Energiewende zu schaffen?
Andreas Ebner: Es geht zügig voran. Wir erhalten zweieinhalbmal mehr Anschlussgesuche für PVAnlagen als noch vor drei Jahren. Rund 85 Prozent konnten 2023 ohne Einschränkung bewilligt werden – aber dieser Prozentsatz wird sinken. Grund ist die abnehmende freie Kapazität im Stromnetz. Damit sind wir beim wunden Punkt der Energiewende: dem Netz. Weil die lokale Produktion praktisch nie zeitgleich zum lokalen Verbrauch passt, braucht es in Zukunft ein deutlich leistungsfähigeres und stabiles Verteilnetz. Ein Blick nach Deutschland, das in der Energiewende gegenüber der Schweiz etwas Vorsprung hat, zeigt eindrücklich, vor welchen Herausforderungen die Verteilnetzbetreiber stehen.
Markus Balmer: Um die Energiewende zu schaffen, sollten wir nicht zwischen verschiedenen Lösungsansätzen auswählen. Es braucht alles: den Ausbau der Winterproduktion durch alpine PVAnlagen, die Deckung des ganzjährigen Mehrbedarfs durch den Zubau von Solaranlagen auch im Flachland, einen sparsameren Verbrauch durch smarte Komponenten und Verbraucher und nicht zuletzt den Ausbau der Speichermöglichkeiten, um die nachhaltige Energieproduktion zeitlich mit dem Energieverbrauch koppeln zu können.
Müsste nicht erst das Netz ausgebaut werden und dann erst die Produktion – schon allein, um mit den vielen neuen Solaranlagen auf den Dächern Schritt halten zu können?
Andreas: Es geht nur zusammen. Erzeugung und Verbrauch müssen im Stromnetz zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sein. Vor dem Ausbau müssen wir zuerst die aus meiner Sicht schwierigste Frage beantworten: Welche Leistung kommt wann und wo an, und wie viel davon muss das Netz aufnehmen bzw. abgeben können? Da der grösste Teil der PVAnlagen, Ladestationen und Wärmepumpen an das Mittel- und Niederspannungsnetz angeschlossen wird, brauchen wir möglichst gebäudescharfe Antworten – mit einem Zeithorizont von 40 Jahren. So lange leben unsere Netzanlagen im Durchschnitt. Aktuell arbeiten wir intensiv daran: Digitalisierungsprojekte sollen helfen, das Kundenverhalten besser vorhersagen zu können und unser Netz für viele mögliche Ausprägungen der Energiewende zu simulieren.
Was uns das Leben im Moment schwer macht, sind die ungleichen Fristen und Zeithorizonte. Ein Beispiel: Für alpine Solaranlagen und deren Anschlussleitung gelten in der Schweiz beschleunigte Bewilligungsverfahren (maximal sechs Monate, weitere sechs Monate für Gerichtsverfahren). Für die Netzverstärkungen gilt aber das normale Bewilligungsverfahren (maximal zwei Jahre, keine Frist für Gerichtsverfahren). Hinzu kommt, dass die Trassenfindung im Hochspannungsnetz sehr herausfordernd ist. Das führt dazu, dass ein Netzausbau in der Hochspannung heute acht bis zwölf Jahre dauert – ohne Einsprachen und Gerichtsverfahren.
Deshalb setzt sich die BKW dafür ein, dass die Politik die Genehmigungsverfahren auch auf regionaler und lokaler Ebene beschleunigt. Nur wenn der Netzausbau auf allen Spannungs- bzw. Netzebenen und der Erzeugungsausbau ideal aufeinander abgestimmt werden, wird die Schweiz ihre ambitionierten Ziele erreichen. Dafür notwendig ist aber auch die Beschleunigung der Bewilligungsverfahren der Verteilnetze.
Im alpinen Lebensraum lehnen viele Gemeinden die Solarausbaupläne ab. Wie holt die BKW die Interessensgruppen ab?
Markus: Um die Gemeinden zu überzeugen, braucht es mehrere Faktoren. Der wichtigste ist sicher, der Bevölkerung zu vermitteln, dass es diese Anlagen braucht, um besonders im Winter den Energiebedarf weitgehendst mit lokaler, nachhaltiger Produktion decken zu können. Auch ist das Vertrauen in die Projektverantwortlichen sowie eine offene und partnerschaftliche Kommunikation wichtig, die Vor- und Nachteile transparent aufzeigt.
Warum müssen grosse PV-Anlagen unbedingt auf Alpenwiesen gebaut werden? Könnte man diese nicht dort installieren, wo es schon Infrastruktur gibt?
Markus: Bedarf an zusätzlicher Energie besteht besonders im Winter. PV-Anlagen auf bestehender Infrastruktur im Flachland produzieren im Winter wenig Energie, da der Hochnebel oft die Sonne abdeckt, die Sonne tiefer steht oder die Anlagen nicht nach Süden ausgerichtet sind. Oberhalb der Nebelgrenze gibt es zu wenig gut besonnte Flächen auf bestehenden Infrastrukturen. Das ist bei Anlagen an südexponierten Alphängen anders. Zudem wirkt der Schnee in den alpinen Flächen als Produktionsbooster. Bis zu 70 Prozent des einfallenden Sonnenlichts wird vom Schnee reflektiert und trifft zusätzlich zur direkten Sonneneinstrahlung auf die PV-Anlage.
Andreas: Auch wenn die PV-Module dort installiert werden, wo es schon Infrastruktur gibt, müsste das Stromnetz trotzdem erheblich aus- und umgebaut werden.
Ich wohne in der Region Solothurn, wo im Winter oft Nebel liegt. Dann läuft mein Zuhause elektrisch auf Hochtouren: Die Wärmepumpe läuft, die Beleuchtung im Haus brennt, meine Kinder schauen fern und meine Frau und ich kochen gemeinsam. Zudem möchte ich auch noch mein Elektroauto laden. Leider produziert aber meine PV-Anlage infolge Nebel gerade nichts, weshalb wir unseren Strombedarf aus dem Netz decken müssen. Dieser Strom wird von anderen Energiequellen an anderen Orten erzeugt und kann nur mithilfe des Stromnetzes in unseren Haushalt gelangen.
Viele denken, die Stromunternehmen verdienen sich mit den Solaranlagen in den Alpen eine goldene Nase, stimmt das?
Markus: Die Rendite der alpinen Solaranlagen ist in der Schweiz gesetzlich auf maximal 5,23 Prozent festgesetzt. Sollte eine Anlage, beispielsweise durch tiefere Investitionskosten, diese maximale Rendite übertreffen, wird die Vergütung den Investitionskosten entsprechend reduziert. Es geht nicht nur um wirtschaftliche Überlegungen, sondern auch um die Überzeugung, mit alpinen Solaranlagen einen wesentlichen Beitrag zur Winterstromproduktion leisten zu können.