Insekten fliegen durch die Luft, es riecht nach frischem Holz und Pflanzen blühen, so weit das Auge reicht. In den Frühlings- und Sommermonaten ist die Natur voller Leben. Auf einem Spaziergang durch den Wald können wir uns erholen. Wir geniessen es, fern vom Alltag abzuschalten, draussen in der intakten Natur, umgeben von Flora und Fauna.
Die Kehrseite der Medaille
Was uns oft verborgen bleibt: Gewissen Lebewesen fehlt ihr Lebensraum. Überdurchschnittlich gefährdet in der Schweiz sind Tier- und Pflanzenarten, die im Wasser leben oder auf Feuchtgebiete angewiesen sind. So auch die Gelbbauchunken.
In den letzten Jahrzehnten sind 90 Prozent der Feuchtgebiete verschwunden. Der Hauptgrund ist das Eingreifen des Menschen in die Natur, wie Andrea Haslinger, Projektleiterin Schutzgebiete und Naturvielfalt bei Pro Natura, erklärt: «Moore wurden trockengelegt, Bäche in Leitungen unter den Boden verlegt, Flüsse begradigt und Weiher zugeschüttet.»
Der kleine Froschlurch mit gelb-schwarz geflecktem Bauch mag es feucht. Die Kaulquappen und Larven leben zuerst im Wasser. Mit der Umwandlung zu Gelbbauchunken verlassen sie die Gewässer und leben meistens an Land. Die Weibchen laichen dabei jeweils in verschiedenen Tümpeln. Dies sei zentral, erklärt Haslinger: «Um die genetische Vielfalt erhalten zu können, ist eine stetige Vernetzung der Populationen entscheidend.»
Gut vernetzt dank Strommasten
Und hier kommen die Strommasten ins Spiel. Die Fläche unter den Strommasten ist kaum anderweitig nutzbar. Und die Masten seien ideal vernetzt. «Die Abstände von einem zum nächsten Mast sind wie geschaffen für die Unken,» so Andrea Haslinger.
Diese Chance hat Pro Natura erstmals vor rund fünf Jahren unter anderem zusammen mit dem BKW Ökofonds genutzt. Im Raum Mühleberg, Gümmenen und Laupen realisierte Pro Natura ein Pilotprojekt: im Winter 2018/2019 legte die Organisation zehn kleine ablassbare Tümpel unter Strommasten an. Die Kleinstgewässer füllen sich mit Regenwasser und werden im Winter trockengelegt. So können sich keine Fressfeinde der Gelbbauchunken ansiedeln wie beispielsweise Libellenlarven oder Fische.
Der BKW Ökofonds beteiligte sich finanziell am Projekt. «Im Rahmen des BKW Ökofonds leistet die BKW einen aktiven Beitrag zum Schutz und zur Förderung der Biodiversität in der Schweiz», erklärt Marius King, Fachspezialist Nachhaltigkeit bei der BKW, und ergänzt: «Rund um die Energieanlagen gibt es viel Potenzial für mehr Biodiversität. Das Projekt beim Wasserkraftwerk Mühleberg ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Potenzial genutzt werden kann.»
Ein Mehrwert für Mensch und Tier
Jetzt – rund fünf Jahre später – zieht Andrea Haslinger ein positives Fazit. Im zweiten Jahr nach dem Bau haben sich bei einzelnen Tümpeln die ersten Unken angesiedelt. Sie erinnert sich: «Es war ein besonderer Moment, als ich erstmals Gelbbauchunken in einem Tümpel festgestellt habe. Das macht die aufwendige Vorbereitung wieder wett.»
Besonders im Gedächtnis geblieben sei ihr der Austausch mit dem jungen Sohn eines Bewirtschafters. Seit dem Bau der Tümpel kümmert sich der Junge um die Kleinstgewässer. «Als ich ihn traf, erzählte er freudig von ‹seinen› Gelbbauchunken», berichtet die Projektleiterin. Natürlich diene dieses Artenförderungsprojekt primär der Biodiversität. Umso schöner sei es, wenn gleichzeitig auch die Menschen profitieren und Freude daran haben.
Es hat sich einiges getan
Am Anfang des Projektes stufte der Bund die Gelbbauchunke als stark gefährdet ein. Mittlerweile ist sie noch als gefährdet gelistet. «Mein erster Gedanke war: Da hat sicher unser Projekt dazu beigetragen», sagt Haslinger. «Jeder Tümpel zählt» gilt ganz besonders für die Gelbbauchunke. Denn das Überleben dieser Art ist stark von Fördermassnahmen durch Private und Behörden abhängig. Das Pilotprojekt war denn auch ein Erfolg. Inzwischen hat Pro Natura in fünf weiteren Regionen in der Schweiz Tümpel unter Strommasten gebaut oder plant solche.
Es lohnt sich also, beim nächsten Spaziergang auch auf die Details der Natur zu achten. Und mit ein bisschen Glück zeigt sich sogar eine Gelbbauchunke in einem Tümpel.