Ein gerader Fluss, links und rechts durch Steinblöcke begrenzt und mit Schwellen bestückt: Der Abschnitt des Fildrich im Gebiet Tiermatti im Diemitgtal – einem beliebten Ausflugsziel in der Region – war lange Zeit ein gerader Kanal. Die Vorfahren der Diemtigtalerinnen und Diemtigtaler haben vor über 100 Jahren viel Arbeit in die Begradigung des Flusses gesteckt und waren stolz auf das Ergebnis. Die Kanalisierung diente primär der Landgewinnung für die Landwirtschaft – gleichzeitig schützte sie auch jahrzehntelang erfolgreich vor Überschwemmungen. 

Nun fuhren im September 2023 plötzlich Bagger auf. Der mit viel Arbeit  begradigte Fluss wird aufgerissen, die Gewässersohle verbreitert, Bäume mit Wurzel nach unten und Stamm nach oben ins Wasser gesetzt und Steine in das Flussbett getragen. Viele Passantinnen und Passanten verstehen die Welt nicht mehr. «Was geht hier vor sich?», fragten sie sich.
 

Widerstand regt sich

Bernhard Meyer, Präsident der Schwellenkorporation Diemtigtal war von Anfang an in das Projekt involviert, staunte aber selbst beim ersten Besuch vor Ort: «Damals dachte ich, das habe ich so nicht ganz erwartet.» Er gab dem Projekt trotzdem weiterhin seinen Segen: «Ich blieb aber dabei: Wir haben A gesagt, also sagen wir auch B». 

Der Präsident erinnert sich daran, als er das erste Mal von diesem Projekt gehört hatte. Seitens Fischereiverband kam die Idee auf, den Fildrich wieder in seinen ursprünglichen Zustand von vor 100 Jahren zu versetzen. «Das war eine reine Fantasieidee. Rein topographisch war das gar nicht möglich, diesen Zustand wiederherzustellen», erklärt er. «Der Fluss hatte mit dieser Überbauung zwei bis drei Unwetter überstanden. Handlungsbedarf gab es also eigentlich keinen», war für Meyer klar, der als Präsident der Schwellenkorporation für den Hochwasserschutz zuständig ist. 

Bernhard Meyer steht im Vordergrund, im Hintergrund der revitalisierte Fildrich
Bernhard Meyer, Präsident der Schwellenkorporation Diemtigtal, ist für den Hochwasserschutz vor Ort zuständig.

Aus Fantasie wird plötzlich Realität

Kurz darauf wendete sich das Blatt. Thomas Richli, Geschäftsführer des BKW Ökfonds, meldete sich bei Bernhard Meyer: «Thomas Richli informierte mich, dass sich das Gebiet für eine Revitalisierung eignen würde. Er habe ein Ingenieurbüro damit beauftragt, Projektideen auszuarbeiten.» Diese präsentierte Daniela Schmocker, Projektleiterin bei der Impuls AG, der Schwellenkorporation in der Aula vor Ort. 

Dies war ein Schlüsselmoment für Meyer: «Die Projektideen waren grundsätzlich realistischer als die ursprüngliche Idee. Zudem war für mich klar: Die Ökologie müssen wir heutzutage berücksichtigen. Ich bin selber viel in der Natur und sehe, was wir alles verbessern sollten.» Und so gab er grünes Licht für das Projekt. 

Der Präsident konnte schliesslich auch die gesamte Schwellenkorporation überzeugen. Der Nutzen sprach für sich. «Uns war einfach wichtig, dass neben der Ökologie auch die Hochwassertauglichkeit beim Projekt im Fokus stand.» Und das war definitiv der Fall: Noch während der Bauarbeiten traten zwei Hochwasser auf. Dies war eine erfolgreiche Probe aufs Exempel und zugleich hatten die Verantwortlichen wertvolle Erfahrungswerte, die direkt ins Projekt miteinflossen.

Daniela Schmocker steht in einer Wiese mit einem Feldstecher in der Hand
Daniela Schmocker, Projektleiterin bei der Impuls AG, erarbeitete im Auftrag des BKW Ökofonds die Projektidee.

Ein seltener Schmetterling bekommt neuen Lebensraum

Nun hat Bernhard Meyer also A und B gesagt, zur Freude von verschiedenen Tieren wie beispielsweise Moorbläulingen, einer sehr bedrohten Schmetterlingsgattung. «Diese kommen nur noch in ein paar wenigen Gebieten in der Schweiz vor. Der Grund ist ihre sehr spezifische Lebensweise», weiss Daniela Schmocker. Damit sich die Schmetterlinge entwickeln könnten, seien sie auf eine spezifische Pflanze angewiesen – nämlich den sogenannten Grossen Wiesenknopf – ebenso wie auf Ameisen (siehe dazu auch blaue Box unten).

Dank des tatkräftigen Einsatzes zweier Schulklassen aus dem Diemtigtal findet der Moorbläuling nun wieder Lebensraum vor Ort. Die Schülerinnen und Schüler haben Grosse Wiesenknöpfe für die Moorbläulinge gepflanzt. In den nächsten fünf Jahren wird sich nun zeigen, ob ihre Arbeit Früchte tragen wird.

Auch Fische und Wasserinsekten profitieren

Erste Erfolge erzielten die Projektverantwortlichen bei anderen Lebewesen. Biologin Daniela Schmocker erzählt: «Kurz nach dem Setzen der Wurzelstöcke in den Fluss fanden wir bereits 20 bis 30 Bachforellendarunter.» 

An einem anderen Ort im Projektgebiet sind wieder Libellen unterwegs und neben weiteren Amphibien profitieren auch Dohlenkrebse von den Revitalisierungsmassnahmen. Die bedrohte Krebsart wurde das letzte Mal vor 20 Jahren vor Ort gesichtet. Trotzdem oder gerade deshalb ist der Lebensraum auch entsprechend seinen Bedürfnissen gestaltet. Nun kann er zurückkommen. «Insbesondere die neuen Kleinstrukturen – das sind Ast- und Steinhaufen sowie Wurzelstöcke - bieten Lebensräume für zahlreiche Tiere wie Wiesel, Zaunkönig oder Waldeidechse », erklärt Schmocker.

Widerstand schlägt in Begeisterung um

Inzwischen ist einige Zeit vergangen seit dem Auffahren der Bagger und es ist viel Wasser den Fildrich runter geflossen – im wahrsten Sinne des Wortes. «Ich muss sagen, das Projekt ist eine gute Sache. Es ist richtig schön geworden und ich bin stolz, dass wir dieses umsetzen konnten», sagt Bernhard Meyer. Sogar der Jagdverein habe tatkräftig mitgewirkt bei der Aufforstung. Besonders gut gefalle Meyer der neue Nebenarm des Flusses, eine weitere Massnahme des Projekts. Auch der BKW Projektleiter Johannes Vogel hat grösstenteils positives Feedback erhalten: «Noch während der Arbeiten vor Ort haben sich die Leute aus der Region über die Aufwertung gefreut – und das, obwohl man da gar noch nicht viel sah.»

Einige hätten zwar immer noch etwas Mühe mit den umgekehrten Bäumen im Wasser. «Nun braucht es noch etwas Zeit, bis alles gewachsen ist, dann sieht es nochmals schöner aus», ist Bernhard Meyer überzeugt. In den nächsten fünf Jahren wird sich auch zeigen, ob der Moorbläuling die neue Fläche findet. Dann erspäht man diesen mit etwas Glück vor Ort über den weinroten Blüten des Grossen Wiesenknopfs gaukelnd.

Der Moorbläuling: Täuschung der Ameise als Überlebenstaktik

Der Lebensraum

Die Raupen der zwei Moorbläulingsarten fressen ausschliesslich an den Blüten des Grossen Wiesenknopfs (Sanguisorba officinalis). Sie sind daher zwingend auf diese Pflanze angewiesen – ebenso wie auf Ameisen, die eine zentrale Rolle im Lebenszyklus spielen.

Lebenszyklus

Paarung – Eiablage – Raupe

Nach der Paarung erfolgt die Eiablage ausschliesslich auf die Blütenköpfchen des Grossen Wiesenknopfs. Die Raupe schlüpft nach etwa einer Woche und frisst von der Blüte. Nach etwa drei bis vier Wochen verlässt sie diese und begibt sich auf den Boden.

Täuschung der Ameise

Und hier kommt die Ameise ins Spiel: Die Raupe wird mit etwas Glück von einer Ameise einer spezifischen Art entdeckt. Diese hält die Moorbläulingsraupe für eine der eigenen Ameisenlarven und bringt diese in ihr Nest. Dort stellt die Raupe ihre Ernährung um und frisst fortan von der Ameisenbrut.

Überwinterung und Verpuppung

Die Raupe überwintert im Nest und verpuppt sich. Ab Mitte Juni schlüpfen die fertig entwickelten Falter und der Zyklus beginnt von neuem. Ein Individuum lebt im Durchschnitt nur sieben bis zehn Tage.

Ein Moorbläuling auf einem grossen Wiesenknopf
Der Moorbläuling ist auf den Grossen Wiesenknopf angewiesen, Bild: Claudia Baumberger.