Praktisch jeder Regentropfen, der im Kanton Bern landet, fliesst früher oder später in die Aare. Dabei legt das Wasser von der Quelle bei den beiden Aargletschern im Grimselgebiet bis an die Kantonsgrenze im oberaargauischen Wynau eine Höhendifferenz von rund 2’000 Metern zurück. Diese Höhendifferenz kann für die Produktion von Strom verwendet werden. «Die BKW nutzt die Wasserkraft als CO2-arme und zuverlässige Energiequelle an über 30 Standorten im ganzen Kanton», erzählt Markus Dietrich, Leiter Hydraulische Kraftwerke bei der BKW. Am bekanntesten dürfte das Kraftwerksnetzwerk der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) sein, an denen die BKW zu 50 Prozent beteiligt ist und deren Ausbauprojekte «Staumauer Trift» und «Vergrösserung des Grimselsees» zu den prioritären Projekten des angenommenen Stromgesetzes gehören. Rund eine Terawattstunde, also 1'000 Gigawattstunden, produzieren die KWO jährlich für die Kundinnen und Kunden der BKW. Doch das ist nicht alles: Weitere 1,1 Terawattstunden werden von der BKW durch verschiedene kleinere Kraftwerke an der Aare und ihren Zuflüssen im ganzen Kanton erzeugt.
Wasserkraft im Kandertal – wie auch Aarezuflüsse verwertet werden
Wir gehen ins Kandertal im Berner Oberland, das seinen Namen dem Aarezufluss Kander verdankt. Eines der BKW Kraftwerke an der Kander ist das Kraftwerk Kandergrund. An dessen Standort wurde Anfang des 20. Jahrhunderts ein Kraftwerk gebaut, welches zu Beginn fast ausschliesslich Strom für die Lötschbergbahn produzierte. Seit 1991 gewinnt dort die aktuelle Anlage Strom aus dem Wasser, das unterhalb von Kandersteg gefasst wird, dann unterirdisch umgeleitet und in Druckleitungen in das Kraftwerk geführt wird.
Weiter unten an der Kander liegt ein neueres Projekt: Das Kraftwerk Augand hat die BKW zusammen mit Energie Thun erst 2023 in Betrieb genommen. Nach einer langen Projektierungsphase verlief die dreijährige Bauphase ohne grössere Probleme, obwohl der unterirdische Zulaufstollen sehr nah an der Zuglinie der BLS vorbeiführt und baulich herausfordernd war (siehe das Interview mit dem BKW Projektleiter Patrik Eichenberger). Seit dem Herbst letzten Jahres produziert das Wasserkraftwerk Augand Strom für 7’700 Haushalte. Schlussendlich fliesst die Kander in den Thunersee – sie tut dies jedoch nicht nur bei der Flussmündung neben Gwatt (Thun), sondern ein Teil des Wassers wird zusammen mit Wasser aus der Simme beim Wasserkraftwerk Spiez ein weiteres Mal verwertet.
Rudern, Naturschutz und Stromproduktion am Wohlensee
Zwischen dem Thunersee und Bern ist die Aare eher bekannt für Gummibootstouren als für die Wasserkraftnutzung. Nach Bern hingegen staut die Staumauer des Wasserkraftwerks Mühleberg den Wohlensee. Der See ist ein gutes Beispiel für das Verbinden verschiedener Nutzungen des Gewässers. Kurz nach der Inbetriebnahme des Kraftwerks im Jahr 1920 wurde der Rowing Club Wohlensee gegründet – bis heute wird der See rege für Freizeitaktivitäten genutzt. Ausserdem gibt es am Wohlensee sechs kantonale Naturschutzgebiete und seit 1952 den Schutzverband Wohlensee, welcher die Verantwortung für Natur, Landschaft und Umwelt im Ufer- und Gewässerbereich wahrnimmt und koordiniert. So kann die Produktion von Strom für rund 35'000 Haushalte im Wasserkraftwerk Mühleberg mit verschiedenen sozialen und umweltbezogenen Interessen vereinbart werden. Dank laufenden Modernisierungen wird die Stromproduktion bis mindestens zum Ende des laufenden Jahrhunderts fortbestehen können – die Konzession läuft bis 2097.
Neue Massstäbe für Flusswasserkraftwerke in Hagneck
Wie gross die Eingriffe der Menschen in die Gewässerlandschaft auch schon waren, zeigt sich eindrücklich am Aareverlauf nach dem Wohlensee im Seeland. Die Aare floss bis ins 19. Jahrhundert nicht durch den Bielersee. Der natürliche Verlauf von Aarberg «direkt» nach Solothurn verwandelte sich damals durch die geringe Steigung und die vermehrten Geschiebeablagerungen zunehmend in ein grosses Sumpfgebiet, das schwer zu bewirtschaften war. Im Rahmen der Ersten Juragewässerkorrektion ab 1868 wurde deshalb unter anderem die Aare begradigt und durch den neuen Hagneckkanal in den Bielersee abgeleitet.
Dort, am Ende des Hagneckkanals, begann später auch die Geschichte der BKW mit dem Bau des Kraftwerks Hagneck, deren Betreiberin, das «Elektrizitätswerk Hagneck», später zur Keimzelle der BKW wurde. Heute – mehr als 125 Jahre später – hat ein modernes Kraftwerk der BKW und der Energie Service Biel/Bienne das alte abgelöst. Es produziert mit dem gleichen Wasser 40 Prozent mehr Strom und hat den Eingriff in die Natur deutlich verkleinert. Etwa 10 Prozent der Investitionen in das 2015 eröffnete Kraftwerk wurden in Natur- und Umweltmassnahmen gesteckt, unter anderem in die Renaturierung des Flussdeltas mit einer neuen Auenlandschaft und in die moderne Fischtreppe. Auch heute ist das Kraftwerk Hagneck ein Musterbeispiel dafür, wie Stromproduktion in Einklang mit der Natur und der lokalen Bevölkerung geschehen kann.
Sowohl die Stromproduktion als auch der Schutz von Natur und Umwelt sind von grosser Bedeutung
Unsere Reise endet im oberaargauischen Wynau, wo die Aare ihre letzten Meter im Kanton Bern fliesst. Hier verwertet die BKW im Wasserkraftwerk Wynau/Schwarzhäusern ihr Wasser noch ein letztes Mal – nach über 30 vorherigen Nutzungen zur Stromproduktion im gesamten Kanton Bern. Markus Dietrich fasst zusammen: «Für den Klimaschutz ist die Wasserkraft in der Schweiz von grossem Wert. Wir sollten sie erhalten und weiter fördern. Der gleichzeitige Schutz der lokalen Ökosysteme ist unverzichtbar – ein Ziel, das keineswegs im Widerspruch zur Nutzung der Wasserkraft steht, sondern vielmehr mit ihr in Einklang gebracht werden kann.»
So baut die BKW zum Beispiel aktuell an den neuen Wasserkraftwerken Sousbach am Rande des Lauterbrunnentals (zusammen mit der EWL Genossenschaft Lauterbrunnen) sowie Turbach bei Gstaad (zusammen mit aventron). Zusammen werden diese Kleinkraftwerke ab 2025 respektive ab 2026 Strom für 8'100 Haushalte produzieren und damit einen wertvollen Beitrag zum Wasserkraftausbauziel des Kantons Bern leisten. Wie die BKW neue und existierende Wasserkraftprojekte zudem umweltfreundlicher macht, wird der zweite Teil dieser Blogserie beleuchten. Er erscheint im Februar 2025.