Bereits heute ist der Strommarkt weitgehend liberalisiert, Energie wird an internationalen Börsen gehandelt. Grosskunden (über 100 MWh pro Jahr), aber auch die überwiegende Mehrheit der Energieversorger, beschaffen ihren Strom am Markt und damit zu Marktpreisen. Indirekt sind damit auch viele kleine Kunden in der Schweiz bereits am Markt – auch wenn sie formell noch in der sogenannten Grundversorgung gebunden sind.
Mit der nun vorgesehenen vollen Strommarktöffnung sollen auch diese kleinen Verbraucher – vor allem Haushalte und Gewerbe – echte Wahlfreiheit beim Energielieferanten erhalten. Was aber hätte dies für Wirtschaft, Gesellschaft und auch die Nachhaltigkeit der Energieversorgung für Folgen?
Neuer Anlauf zur vollständigen Marktöffnung
Blicken wir dafür zurück: Bereits 2014 beabsichtigte das eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) mit dem Stromversorgungsgesetz (StromVG) allen Kunden die Wahlfreiheit zu ermöglichen. Aufgrund der unterschiedlichen Meinungen vertagte der Bundesrat jedoch die vollständige Marktöffnung. Fünf Jahre später befinden wir uns nun in einer veränderten Welt.
Die tiefen Strompreise im Markt, die fortschreitende Digitalisierung, der "Push" bei den erneuerbaren Energien sowie die generell höhere Bedeutung der Energie- und Klimapolitik – all dies schafft eine neue Situation. Der im Oktober 2018 veröffentlichte Entwurf zur Revision des StromVG nahm diese Entwicklungen zumindest teilweise auf. Die mehrheitlich positiven Rückmeldungen sowie das Festhalten des Bundesrates lassen eine Strommarktöffnung wieder realistischer erscheinen. Auch die BKW sprach sich in ihrer Position für eine vollständige Marktöffnung aus.
Überwiegender Nutzen für Endkonsumenten
Der Nutzen einer Strommarktöffnung ist vielfältig: In erster Linie erhalten dadurch auch die kleineren Konsumenten und das Gewerbe – wie erwähnt – eine umfassende Wahlmöglichkeit ihres Stromanbieters. Die ungleiche Behandlung von unterschiedlichen Kundengruppen entfällt. Zudem führt ein geöffneter Strommarkt, davon ist auch der Bundesrat überzeugt, zu relevanten Innovationen und einer besseren Integration der erneuerbaren Energien.
Neben dem Wettbewerb, mehr Innovation und dem Weg in eine erneuerbare Energiezukunft ist die Strommarktöffnung auch mit Blick auf Europa von Relevanz. Die Strommarktöffnung ist eine notwendige Grundlage für den Abschluss eines Stromabkommens mit der EU. Ein solches ist vor allem im Hinblick auf die Versorgungssicherheit bedeutend. Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist sie von Relevanz, vor allem für die Betreiber der Wasserkraft. Eine bessere Integration in die europäischen Marktmechanismen ist längerfristig eine wichtige Voraussetzung für eine effiziente Vermarktung von Speicherkraftwerken. Speicherkraftwerke können nur wirtschaftlich betrieben werden, wenn die Flexibilität im europäischen Markt zum Tragen kommen kann.
Standardprodukt schweizerisch und erneuerbar
Bei der Ausgestaltung der Marktöffnung erhielt die Weiterführung einer sogenannten abgesicherten Grundversorgung für Endkonsumenten breite Unterstützung, auch von der BKW. Das vom Bundesrat vorgeschlagene Standardprodukt soll all jenen kleinen Konsumentinnen und Konsumenten offenstehen, die weiter in dieser Grundversorgung verbleiben möchten.
Dieses Standardprodukt soll gemäss Vorschlag des Bundesrats ausschliesslich aus einheimischen sowie mehrheitlich erneuerbaren Energiequellen stammen. Dies soll einerseits den Ausbau erneuerbarer Energie im Inland fördern. Anderseits bieten bereits heute viele Versorger ein solches Produkt in ihrer Grundversorgung.
Begleitmassnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien?
Viele Vernehmlassungsantworten verlangen – im Sinne von Begleitmassnahmen –ausserdem zusätzliche Anstrengungen beim Ausbau erneuerbarer Energien sowie zur Stärkung der Versorgungssicherheit. Auch der Bundesrat sprach sich im September 2019 für solche Massnahmen aus: Mit einer Revision des Energiegesetzes will er zusätzliche Investitionsanreize für einheimische erneuerbaren Energien schaffen. Die BKW begrüsst grundsätzlich die Schaffung wirkungsvoller Anreize für Investitionen in den inländischen Kraftwerkspark.
Konkret will der Bundesrat die bestehenden Investitionsbeiträge für Grosswasserkraft verdoppeln, für neue Wind-, Kleinwasser-/Biogasanlagen sowie Geothermie-Kraftwerke ab 2023 ebenfalls Investitionsbeiträge sprechen, und die Befristung von Investitionsbeiträgen von 2030 auf 2035 ausdehnen. Bei Photovoltaik (PV)-Anlagen soll die Einmalvergütung das Hauptförderinstrument bleiben, wobei Grossanlagen neu ausgeschrieben würden.
Parallele Behandlung StromVG und EnG wahrscheinlich
Die Gesetzesvorlagen zur Strommarktöffnung und die erwähnten Begleitmassnahmen werden wohl als Paket behandelt: Das UVEK wurde vom Bundesrat beauftragt im ersten Quartal 2020 parallel zu den Arbeiten für die Öffnung des Strommarktes auch eine Vernehmlassungsvorlage zur Revision des Energiegesetzes (EnG) vorzubereiten. Voraussichtlich gegen Ende 2020 dürften die entsprechenden Botschaften dem Parlament vorgelegt und in einem Szenario der schnellen Umsetzung bis Ende 2022 beraten werden.
Ein allfälliges Referendum und eine Volksabstimmung berücksichtigt, könnte die vollständige Marktöffnung folglich im Januar 2024 eintreten. Je nach Dauer der parlamentarischen Behandlung könnte sich ein Inkrafttreten um ein weiteres Jahr verschieben. Bis zur vollständigen Liberalisierung des Strommarktes dauert es somit mindestens vier zusätzliche Jahre. Gewerbe und private Endkonsumenten müssen sich also noch gedulden.
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