Grimselpass im Spätherbst. Der erste Schnee liegt auf den Gebirgshängen. Die Wolken liefern sich einen Kampf mit der Sonne. Die gewaltigen Felsformationen kratzen den Himmel mit der Macht einer steinernen Faust. Vom Wallis her zieht ein kühler Wind über den Stausee und verkündet den nahenden Winter. Ralf Grand lässt sich von diesen eher unwirtlichen Bedingungen nicht erschüttern. Er zieht den Kragen seiner Arbeiterjacke hoch und sagt voller Bewunderung: «Was gibt es Schöneres, als das Büro auf knapp 2000 Metern über Meer zu haben? Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit komme, verspüre ich eine grosse Dankbarkeit.»
94 Mio. Kubikmeter Wasser
Grand stammt aus dem Oberwallis. Doch seine berufliche Schaffenskraft bringt er derzeit als Bauleiter in eines der grössten Projekte des Kantons Bern ein – in den Neubau der Spitallamm-Staumauer. Es ist ein gewaltiges Bauwerk, in dem bis 2025 rund 220 000 Kubikmeter Beton verbaut werden und das die 94 Millionen Kubikmeter Wasser des Grimselsees weitere 100 Jahre bändigen soll – und das für Kosten von 125 Millionen Franken einen wichtigen Beitrag zur nationalen Energieproduktion leisten wird. Es ist damit das Kernstück des gesamten Systems der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) mit Produktionsanlagen, Druck- und Pumpleitungen sowie Stollengängen mit einer Gesamtlänge von rund 160 Kilometern.
Doch noch ist es die alte Mauer – 114 Meter hoch und 258 Meter lang –, die als gewaltige Talsperre in die Höhe ragt. Doch in vier Jahren soll sie durch ein fünf Quadratmeter grosses Loch geflutet werden. Vor ihr wächst seit der feierlichen Grundsteinlegung am 23. Juni 2021 die neue Mauer: Meter um Meter, Betonschicht um Betonschicht. Rund 90 Arbeitskräfte standen zwischen April und Oktober im Einsatz – aus diversen Berufen: Maschinisten, Bauarbeiter, Strassenbauer, Mechaniker, Poliere, Elektriker, Zimmerleute, Maurer, Schreiner, Ingenieure. Sie werden auch künftig dafür sorgen, dass der Fahrplan des Baus eingehalten und die Stromproduktion aufrechterhalten wird. Erst in der Endphase 2024/25 – wenn die technische Infrastruktur an der neuen Mauer installiert wird – muss der See kurzfristig geleert und deshalb die Energieherstellung unterbrochen werden.
Komplexes Verfahren
Das Verfahren ist komplex und geschieht in mehreren Phasen. Bevor mit dem Bau der eigentlichen Mauer begonnen werden konnte, musste der Fundamentaushub in den Felsen gesprengt werden. Damit die Staumauer im Berg verankert werden kann und so der Druck der grossen Wassermassen auf die Widerlager übertragen wird, wurde das Fundament auf beiden Seiten des Betonbogens bis zu 16 Meter in den Felsen getrieben.
70 000 Kubikmeter Granitgestein wurden für die Fundamente insgesamt abgetragen. Dieser Prozess stand auch im Zeichen des ressourcenschonenden und nachhaltigen Baus der neuen Mauer. Denn das gesamte Rohmaterial für die neue Staumauer wird im Grimselgebiet abgebaut. Nur Zement und Flugasche werden antransportiert. Dies bedeutet kurze Transportwege und eine Reduktion des Verkehrs auf der Hauptstrasse.
Dass in einer Lage von knapp 2000 Metern über Meer das Klima rau ist, nimmt Ralf Grand mit der Gelassenheit eines waschechten Berglers: «Schlechtes Wetter gibt es für uns eigentlich nicht: Wenn es regnet, ist es gut für das Kraftwerk; wenn die Sonne scheint, ist es gut für das Gemüt der Bauleute.»
Baustelle eingewintert
Trotzdem setzt die Natur den Arbeiten klare Grenzen, die auch von der modernen Technik nicht verschoben werden können. Wie schon beim Bau der alten Mauer vor 90 Jahren kann nur zwischen Mai und Oktober gearbeitet werden. So wurde die grosse Baustelle Ende Oktober «eingewintert». Für den zuständigen Bauleiter Pascal Reber ist dies ein Vorgang wie in einer Alphütte – «wenn auch viel grösser und arbeitsintensiver», wie er lachend sagt.
Teilweise werden die Baumaschinen und Geräte ins Tal gefahren, teilweise werden sie aber auch in den Stollen untergebracht, die links und rechts der Staumauer liegen. Die auffälligsten Geräte, die beiden 92 Meter hohen Baukräne, die bei aufgestellten Auslegern bis zu 160 Meter in den Himmel ragen, bleiben aber stehen. Dem Zufall überlassen, wird jedoch nichts. Pascal Reber erklärt: «Einmal pro Woche kontrollieren wir die Baustelle. Und die Kräne sind ständig online und werden von uns per Webcam überwacht. Mit einer Automatik werden sie immer wieder bewegt.» Dies verhindert, dass sie einfrieren.
Echte Pioniere vor 90 Jahren
Am Grimsel wird in jeder Beziehung an der Zukunft gebaut. Und Bauleiter Ralf Grand, der bereits beim Bau der Lötschberg- und Gotthard-Basistunnels eine wichtige Rolle spielte, sagt nicht ohne Stolz: «Der Neubau der Staumauer am Grimsel ist für die Stromversorgung in der ganzen Schweiz für das nächste Jahrhundert ein wichtiger Faktor.»
Den eigenen Beitrag will er dabei aber nicht überbewerten. Im Gegenteil: Er zieht den Hut vor jenen Arbeitern, die vor 90 Jahren die alte Mauer unter grössten Strapazen und Entbehrungen bauten: «Das waren echte Pioniere. Sie verrichteten ihre Arbeit ohne grosse mechanische Hilfsmittel und ohne elektronische Geräte.» Und sie erbrachten eine Leistung, die auch den heutigen Arbeitern als grosses Vorbild dient – und selbst dann noch Bestand haben wird, wenn die alte Mauer dereinst im Grimselsee verschwindet.
Fundament für die Stromversorgung
Der Grimselsee ist der wichtigste Stausee im weitverzweigten Kraftwerksnetz der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO), die zur Hälfte der BKW gehören. «Mit dem Neubau der Spitallamm-Staumauer stärken wir das Fundament für die Stromversorgung kommender Generationen», sagt BKW Mediensprecher Tobias Habegger. Denn Stauseen seien grosse Energiespeicher. «Mit Wasserkraft lässt sich dann Strom produzieren, wenn er gebraucht wird. Das heisst, vor allem im Winter, wenn der Strom in der Schweiz in der Regel knapp ist.»
Ersatz Staumauer Spitallamm – Die Arbeiten der Bausaison 2021 (© KWO)
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Thomas Richli, 03.01.2022, 13:17
Die neue Staumauer ist so ausgelegt, dass sie später um über 20 m erhöht werden kann (dies ergäbe + 89 % mehr Energie) . Damit dies möglich ist, muss aber zuerst der Richtplan im Gebiet Grimsel angepasst werden. Das Verfahren für den Richtplan läuft derzeit beim Kanton Bern und dauert noch Jahre. Erst danach ist eine Erhöhung möglich. Übrigens gab es zur Vergrösserung des Grimselsees (Erhöhung Staumauer) schon einige Bundesgerichtsurteile. Das Richtplanverfahren ist eine Folge davon.
Die neue Staumauer wurde bewusst nicht weiter nach vorne geschoben. Einerseits wegen der guten Felsqualität in diesem Bereich und andererseits aus geometrischen Gründen. Je weiter vorne die Mauer gebaut wird, desto länger und teurer wird diese, da das Tal v-förmig verläuft. Bei der Planung einer Staumauer wird aus Kostengründen immer darauf geachtet, dass diese an einer engen Stelle gebaut werden kann.Ulrich Walter Fuhrer, 02.01.2022, 20:26
Ich habe 2 Fagen:
Erklären sie mir kurz noch einmal warum die Staumauer nicht höher als die alte gebaur wird.
Wäre nicht eine Option gewesen die Staumauer
einige meter nach vorne zu rücken um das Fassungsvermögen des Stausee so zu erhöhen?
Kommentare (2)
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