Ein Kernkraftwerk verschwindet

Ein Jahr nach der Abschaltung in Mühleberg – trotz des Coronavirus verläuft der Rückbau des Kernkraftwerks nach Plan. Die Turbinen im Maschinenhaus sucht man etwa schon vergebens. Doch die Arbeit hat gerade erst begonnen.

Ein Jahr ist es her, da stand dieser Ort im Mittelpunkt: Am 20. Dezember 2019 hat die BKW das Kernkraftwerk Mühleberg endgültig vom Netz genommen. Dieses in der Schweiz bisher einmalige Geschehnis wurde live im TV übertragen. Für die Mitarbeitenden war es ein einschneidender Tag, auch wenn sie ihn hatten kommen sehen.

Von einem Moment auf den anderen lautete ihre Hauptaufgabe nicht mehr, Strom herzustellen, sondern ihren Arbeitsplatz zu demontieren. Der Rückbau des Kernkraftwerks wird länger als ein Jahrzehnt dauern und grösstenteils vom bisherigen Team übernommen.

Ein Jahr später ist die Zwischenbilanz von Stefan Klute, Gesamtprojektleiter der Stilllegung, positiv. «Jedenfalls aus
meiner Vogelperspektive. Wir sind auf Kurs.» Vogelperspektive heisst: jene des Gesamtprojektleiters.

Kernkraftwerk Mühleberg

Der Gesamtprojektleiter zu Gast im BKW Talk

In den Detailprojekten gibt es aber natürlich stets kleinere Herausforderungen. Viele gehen von einem Thema aus, das wenige Monate nach dem Abschalten des Kraftwerks die Welt zu dominieren begann: das Coronavirus.

«Das Kernkraftwerk-Geschäft ist ein internationales», beginnt Klute. In der Schweiz gab es mit Mühleberg insgesamt vier Standorte, in den umliegenden Ländern viele mehr. Lieferanten und Partner, aber auch Know-how, kommen vielfach aus dem Ausland. Im Frühjahr und auch jetzt wieder war und ist die Einreise in die Schweiz aber nicht von überall gut möglich. «Im Mai hatten wir neun Experten aus den USA bei uns. Sie hatten früher schon einen Teil unseres Personals geschult», erzählt Klute.

«Das war eine Phase, in welcher das Coronavirus in Europa stärker verbreitet war als in den USA. Deshalb war der Flug organisatorisch eine Herausforderung.» Nur ein Beispiel zu den Nebenproblemen, die Corona verursachte.

Radioaktivität und Virus

Im Inneren der Anlage gilt natürlich Maskenpflicht. Die Disziplin sei gross, sagt Klute. Wohl deshalb, weil man in einem Kernkraftwerk im Umgang mit Massnahmen zur persönlichen Sicherheit geschult sei. «Radioaktivität ist unsichtbar, das Virus ist unsichtbar.» Aber auch in diesem Bereich gab es im Frühling plötzlich Fragezeichen: Alle Welt kaufte Schutzmasken. Teils Modelle, die in Kernkraftwerken im Einsatz stehen. Die Lieferengpässe bekam Mühleberg zu spüren, konnte sie aber rechtzeitig abfedern. Trotz dieser Hindernisse ist der Rückbau auf Kurs. Am besten sieht man dies im Maschinenhaus. Die Turbinen und Generatoren für die Stromerzeugung sind bereits ausgebaut. «Insgesamt haben wir hier schon 2500 Tonnen Material entfernt», so Klute. Rund die Hälfte an Gewicht machen allein die massiven Splitterschutzsteine aus, welche die Umgebung bei einer Turbinenstörung vor herumfliegenden Splittern geschützt hätten.

Das einst volle Maschinenhaus ist jetzt ziemlich leer. Mit gutem Grund: So ist hier genügend Platz, um radioaktiv verunreinigtes Material vor dem Abtransport zu reinigen.

Stefan Klute, Leiter Stilllegung und Entsorgung
Stefan Klute, Leiter Stilllegung und Entsorgung

Die Meilensteine aus dem ersten Rückbau-Jahr

Alles wird genau überprüft

Die Turbinen wurden längst zu einer spezialisierten Firma in Schweden transportiert, wo sie eingeschmolzen werden. Radioaktiver Abfall wird dort von wiederverwertbarem Stahl getrennt. Dieser Stahl ist nur ein Beispiel fürs Recycling der zurückgebauten Materialien. Stefan Klute geht davon aus, dass rund 80 Prozent der Teile wiederverwertet werden können. Schliesslich ist der grösste Teil der Anlage auch nie mit Radioaktivität in Kontakt gekommen: Über 98 Prozent der Gesamtmasse muss nicht als radioaktiver Abfall entsorgt werden. Dennoch wird, auch vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, alles genau auf radioaktive Spuren überprüft.

Früher: Das mit Turbinen und Generatoren voll ausgestattete Maschinenhaus.
Früher: Das mit Turbinen und Generatoren voll ausgestattete Maschinenhaus.

Wiederverwertet werden auch die erwähnten Splitterschutzsteine. Sie werden zerkleinert und zuerst zu Zement, dann zu Beton, der auf dem Bau verwendet werden kann – ein Wertstoffkreislauf.

Ein Jahr ist in Mühleberg seit dem grossen Tag vergangen. Stefan Klute spricht von 2020 als «Start- und Vorbereitungsphase» und von 2021 als «Anlauf- und Optimierungsphase». Ab dem Jahr 2022 werden die Brennelemente nach und nach vom Brennelementelagerbecken ins zentrale Zwischenlager nach Würenlingen AG transportiert, bis Ende 2024 keine Brennelemente mehr vorhanden sind. Zu diesem Zeitpunkt sind über 98 Prozent der Radioaktivität aus dem Kernkraftwerk entfernt. Von 2025 bis 2030 wird der nukleare Rückbau laufen. 2034 dürfte das Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Mühleberg schliesslich bereit für andere, heute noch unbekannte Nutzungen sein.

Heute: Das Maschinenhaus wirkt wie eine Lagerhalle. Keine Spur mehr von den Turbinen.
Heute: Das Maschinenhaus wirkt wie eine Lagerhalle. Keine Spur mehr von den Turbinen.

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