Aus den Augen, aus dem Sinn: Das gilt für Stromleitungen in vielen besiedelten Gebieten der Schweiz. «Wenn man daheim den Lichtschalter drückt, macht man sich keine Gedanken mehr darüber, woher die Energie eigentlich kommt», beginnt Karl Binggeli, Leiter Hochspannungsleitungen bei der Arnold AG, die zur BKW Gruppe gehört. Ein Grund dafür: In den Ballungsräumen sieht kaum mehr jemand Strommasten, Hochspannungsleitungen schon gar nicht.
Das ist im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein ganz anders: Energie ist dort allgegenwärtig. Rund 3000 Windkraftanlagen stehen in diesem Gebiet im Norden des Landes. Eingeklemmt zwischen Nord- und Ostsee ist Schleswig-Holstein sehr windig – beste Voraussetzungen, um eines der Vorzeigegebiete für die Energiewende zu werden. Teils stehen die Windräder an Land (onshore), teils gar im Meer (offshore). Gebaut weitestgehend im letzten Jahrzehnt. Doch ohne Leitungen, welche den erzeugten Strom abtransportieren, bringen auch die besten Turbinen nichts. Die erneuerbaren Energien aus dem Norden müssen gen Süden.
Ein Mast von 85 Metern Höhe
Einer, der dafür zuständig ist, ist Gunter Scheumann, Bauprojektleiter bei der deutschen LTB Leitungsbau GmbH, seit einem Jahr ebenfalls ein Unternehmen der BKW Gruppe. Wenn er über sein Projekt spricht, erwähnt er grosse Zahlen. «Die meisten Masten sind 60 Meter hoch.» Einer am Fluss Eider misst gar 85 Meter. Energie und deren Transport sind sichtbar. «Aus den Augen, aus dem Sinn» gibt es hier nicht. Eher schon: «Spannung pur.»
Die LTB Leitungsbau ist für einen der fünf Teilabschnitte der neuen Westküstenleitung zuständig, die unter der Bauherrschaft von Netzbetreiber TenneT entsteht. Über 140 Kilometer soll diese künftig Husum mit Brunsbüttel verbinden. Die LTB ist für den Teilabschnitt 3 mit dem Baulos 1 zuständig. Dieser führt vom UW Heide West bis zum Fluss Eider im Norden. 27 Kilometer. Masten werden angeliefert, vor Ort montiert und mit Hilfe von Kränen aufgestellt. «Für mich ist es das grösste Projekt, das ich in meiner Laufbahn leiten durfte», sagt Scheumann am Telefon, direkt vor Ort in Hemmingstedt, wenige Kilometer von der Nordsee entfernt.
Erdöl, Eidechsen, Schotterwege
Es gilt, zahlreiche Faktoren zu beachten. Neben der Windenergie ist auch das Erdöl ein grosses Thema in der Region. In Hemmingstedt steht eine wichtige Raffinerie, die Öl aus Offshore-Plattformen bezieht. Die vorhandenen Pipelines sind bei der Planung der Höchstspannungsleitung zu berücksichtigen. Dann soll das Projekt die Lurche und Eidechsen der Region nicht gefährden. Bauzeiten sind mit den Bedürfnissen der Anwohner abzugleichen. Eine grosse Herausforderung ist zudem der Transport. «Wir haben 163‘000 Tonnen Schotter für Wege verbaut.» Für 14 Kilometer temporäre Zufahrten an die Stellen, an welchen die Masten zu stehen kommen. Schotterwege natürlich, auf denen breite und schwere Lastwagen verkehren können. Der LTB-Bauabschnitt soll im August 2021 fertiggestellt sein. Zwei 380-kVLeitungen sind dann bereit, Teile der «europäischen Strom-Autobahn» zu werden.
Als Schweizer Berufskollege wird man fast ein bisschen neidisch, wenn man nach Deutschland blickt. «Diese Dimensionen, die sie dort oben haben. 140 Kilometer Leitung», betont Karl Binggeli von der Arnold AG. Die tägliche Arbeit der Schweizer Netzbauer lautet vielmehr: Instandhaltung und Modernisierung. Neubau ist die Ausnahme.
Dezentraler als früher
Doch die Anforderungen ändern sich hierzulande ebenfalls. Weil auch die Schweiz an diese «europäische Strom-Autobahn» angeschlossen ist und beste Leitungen aufweisen muss. Und weil die erneuerbaren Energien dezentraler erzeugt werden: Windturbinen und Solaranlagen hier und dort statt eines grossen Kraftwerks wie das Kernkraftwerk Mühleberg, das die BKW vor bald einem Jahr vom Netz nahm. Der Strom muss dennoch fliessen.
Der CEO der BKW Infra Services, Werner Sturm, blickt auf grössere Projekte zurück, die in jüngerer Zeit in der Schweiz ausgeschrieben waren. Das Letzte war ein Neubau im Unterwallis (fünf Lose). Die Lose vergab die Netzbetreiberin Swissgrid an zwei italienische Unternehmen. Es war ein stark diskutierter Entscheid, welche die Branche ziemlich bewegt hat. «Aber», so Sturm, «wir hatten in der Schweiz die letzten Jahre selten so grosse Neubau-Projekte, so dass uns ein gewisses Knowhow fehlte.» Die Herausforderung, die sich der Branche nun also stellt, da sie sich jahrzehntelang vornehmlich mit Instandhaltung, nicht mit Neubau befasste.
Im Teamwork haben sich die BKW Infra Services mit Arnold AG und LTB Leitungsbau GmbH zuletzt für einen Neubau zwischen Pradella und La Punt im Engadin bei Swissgrid beworben. Der Vergabe-Entscheid ist vor wenigen Tagen gefallen: alle fünf Lose wurden an vier Schweizer Firmen vergeben. Die BKW Infra Services hat mit der Konstellation Arnold AG und LTB Leitungsbau GmbH als einziger Anbieter zwei Lose mit einem Umfang von total rund 12 Mio. Schweizer Franken gewonnen*. Werner Sturm: «Das war wirklich Spannung pur – dafür ist die Freude im Team jetzt umso grösser. Wir freuen uns auf die Arbeiten die nächsten zwei Jahre im Engadin».
* unter Vorbehalt der noch laufenden Einsprachefrist.
Die BKW gewinnt Know-how aus Deutschland
Seit Oktober 2019 gehört die LTB Leitungsbau GmbH zum BKW Netzwerk. Dank dieser Übernahme ist BKW Infra Services zu den Top-3-Firmen im deutschen Freileitungsmarkt avanciert. Dieser Schritt hat die Wachstumsstrategie der BKW im Themenfeld Netzdienstleistungen gestärkt. Die BKW geht von einem stark wachsenden Markt für den Bau sowie die Sanierung und Instandhaltung von Hoch- und Höchstspannungsleitungen in Deutschland aus. Zudem schafft sie dadurch Synergien und einen Knowhow-Transfer für den Leitungsbau in der Schweiz. Durch den Zusammenschluss mit der LTB kann die BKW Infra Services ihre Infrastrukturdienstleistungen weiterentwickeln und den erfolgreichen Wachstumspfad fortsetzen.
Unser Beitrag zur Nachhaltigkeit
Mit unserem Handeln, unseren Produkten und Dienstleistungen tragen wir zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Umwelt bei. Die BKW entwickelt Lösungen für die Gestaltung von zukunftsfähigen Infrastrukturen und Lebensräumen. Dabei bekennt sie sich zu den Sustainable Development Goals der UNO. Mehr Infos zu unserem Nachhaltigkeitsmanagement finden Sie hier. |
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